Der dritte Sonntag nach dem Epiphaniasfest spricht die große Einladung aus: Die alles verändernde, heilende Botschaft gilt allen Menschen und überwindet alle Unterschiede, alles Trennende: „Ihr werdet staunen.“
Wochenspruch:
„Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ Lukas 13,29
Wochenpsalm: 86
1 HERR, neige deine Ohren und erhöre mich; denn ich bin elend und arm.
2 Bewahre meine Seele, denn ich bin dir treu. Hilf du, mein Gott, deinem Knechte, der sich verlässt auf dich.
5 Denn du, Herr, bist gut und gnädig, von großer Güte allen, die dich anrufen.
6 Vernimm, HERR, mein Gebet und merke auf die Stimme meines Flehens!
7 In der Not rufe ich dich an; du wollest mich erhören!
8 Herr, es ist dir keiner gleich unter den Göttern, und niemand kann tun, was du tust.
9 Alle Völker, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir anbeten, Herr, und deinen Namen ehren,
10 dass du so groß bist und Wunder tust und du allein Gott bist.
11 Weise mir, HERR, deinen Weg, dass ich wandle in deiner Wahrheit; erhalte mein Herz bei dem einen, dass ich deinen Namen fürchte.
Wochenlieder:
1 Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all, lobt Gott von Herzensgrunde, preist ihn, ihr Völker allzumal, dankt ihm zu aller Stunde, dass er euch auch erwählet hat und mitgeteilet seine Gnad in Christus, seinem Sohne.
2 Denn seine groß Barmherzigkeit tut über uns stets walten, sein Wahrheit, Gnad und Gütigkeit erscheinet Jung und Alten und währet bis in Ewigkeit, schenkt uns aus Gnad die Seligkeit; drum singet Halleluja
EG 293
1 In Christus gilt nicht Ost noch West, es gilt nicht Süd noch Nord, denn Christ macht uns alle eins in jedem Land und Ort.
2 In Christus findet unser Herz, was wahre Einheit bringt: Er ist es, der das goldne Band der Liebe um uns schlingt.
3 So reicht einander eure Hand, uns trennt kein Unterschied. Wer immer unserm Vater dient, ist der Familie Glied.
4 In Christus trifft sich Ost und West, es trifft sich Süd und Nord. Wir wissen uns in Christus eins, gegründet auf sein Wort.
EG.E 13
Evangelium Matthäus 8,5-13
5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er’s. 10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern 13. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.
Predigttext
1 Zu der Zeit, als die Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande. Und ein Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort als Fremdling zu wohnen, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. 2 Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und als sie ins Land der Moabiter gekommen waren, blieben sie dort. 3 Und Elimelech, Noomis Mann, starb, und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen. 4 Die nahmen sich moabitische Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Rut. Und als sie ungefähr zehn Jahre dort gewohnt hatten, 5 starben auch die beiden, Machlon und Kiljon. Und die Frau blieb zurück ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann. 6 Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und zog aus dem Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass der HERR sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte. 7 Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Und als sie unterwegs waren, um ins Land Juda zurückzukehren, 8 sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der HERR tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. 9 Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause! Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten 10 und sprachen zu ihr: Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen. 11 Aber Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Wie kann ich noch einmal Kinder in meinem Schoße haben, die eure Männer werden könnten? 12 Kehrt um, meine Töchter, und geht hin; denn ich bin nun zu alt, um wieder einem Mann zu gehören. Und wenn ich dächte: Ich habe noch Hoffnung!, und diese Nacht einem Mann gehörte und Söhne gebären würde, 13 wolltet ihr warten, bis sie groß würden? Wolltet ihr euch einschließen und keinem Mann gehören? Nicht doch, meine Töchter! Mein Los ist zu bitter für euch, denn des HERRN Hand hat mich getroffen. 14 Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Rut aber ließ nicht von ihr. 15 Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach. 16 Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. 18 Als sie nun sah, dass sie festen Sinnes war, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden. 19 So gingen die beiden miteinander, bis sie nach Bethlehem kamen.
Rut 1,1-19a (Predigtext, Reihe III)
Das Neue Testament beginnt mit einem Stammbaum Jesu. Stammbäume laufen über Männer, was aber zumindest auch damit zusammenhängt, dass man es nicht besser wusste, auch die Frauen nicht: Der Vergleich war das Weizenkorn: In was für einen Boden man oder auch frau das Korn sät und was auch immer dabei herauskommt, es ist immer wieder ausschließlich und nur Weizen. Umso überraschender sind deshalb die Frauen dort im Stammbaum. Und dann auch noch nicht einmal die verehrten Erzmütter Sara, Rebecca, Rahel oder Lea – die übergeht Matthäus, sondern eher mit einem Makel behaftete Frauen mit teilweise hanebüchenden Geschichten, von denen man gar nicht glaubt, dass die in einem heiligen Buch überliefert werden dürfen.
Rut ist noch die harmloseste. Der „Makel“ an ihr ist nur: Sie ist Ausländerin, sie gehört gar nicht oder höchsten geduldet dazu. Dass in der hebräischen Bibel nicht schamhaft verschwiegen, sondern ausführlich erzählt wird, dass die Urgroßmutter des Staatsgründers und Überhelden David eine Ausländerin war, ist bei dem sonstigen Bemühen um Reinheit schon ein Wunder.
Ruts Geschichte ist dann allerdings die anrührendste Liebesgeschichte der Bibel. Nicht umsonst kommt sie über einen passenden Trauspruch bis heute immer wieder in Hochzeiten hinein. Obwohl dieser gern zitierte Vers mit der eigentlichen Liebesgeschichte zwischen Rut und dem Urgroßvater Davids gar nichts zu tun hat: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen“ ist die Antwort der jungen Witwe Rut an ihre Schwiegermutter, die ihren beiden Schwiegertöchtern gerade klarmachen will, dass ihre Wege sich zum Vorteil der jungen Frauen trennen sollten: „Mein Los ist zu bitter für euch.“ Die eine, Orpa, befolgt den Rat, die andere, Rut, hält ihrer Schwiegermutter die Treue. Wobei das nicht unbedingt ein Vorwurf an Orpa ist: ihrer Wege zu gehen entlastet Noomi von einem Gutteil dessen, wofür sie verantwortlich ist.
Über Ruts Motive können wir nur spekulieren: Hat sie einfach keine für sie einladende Alternative? Das ursprüngliche Elternhaus bzw. die Sippe ist kein Ort, an den sie zurück möchte. Oder ist es Anhänglichkeit, Liebe für ihre Schwiegermutter? Will sie ihrerseits ihr zur Seite stehen? Oder ist sie neugierig auf das fremde Land und seinen Gott? Könnte es tatsächlich ein religiöses Motiv sein: Ich habe deinen Glauben, vielleicht auch den meines verstorbenen Mannes kennengelernt und will deshalb mit? „Dein Gott ist mein Gott“ und ich möchte gern in diesem Umfeld leben.
Es ist eigentlich schade, dass bei uns die sich dort in Bethlehem dann anspinnende Liebesgeschichte selbst nicht mehr vorkommt, jedenfalls nicht im Gottesdienst: Als arme Leuten sammeln Rut und wohl auch Noomi hinter den regulären Schnittern in der zweiten Reihe, was der ersten Reihe runterfällt. Davon leben sie. Dort trifft Rut Boas, oder umgekehrt: Boas trifft Rut, der offenbar sofort hin und weg ist, ihr alle Brücken baut, auch für ihren Schutz sorgt und sogar seinen Schnittern Anweisung gibt, absichtlich für Rut etwas fallen zu lassen. Der nächste Schritt ist eine gezielt weibliche Intrige, die sich Boas aber offenbar gern gefallen lässt: Besoffen und müde vom Erntefest wird er nach allen Regel der Kunst verführt. Das muss dann mit List und ein bisschen Tücke in der damals komplizierten rechtlichen Lage in geordnete Bahnen gebracht werden. Dafür ist dann Boas selbst zuständig, der das nur allzu gern bewältigt. Am Ende steht die Hochzeit und die Geburt des Großvaters von David, der dann der Vater von Isai wird, den wir zu Weihnachten als „Jesse“ besungen haben (EG 30,1 … von Jesse kam die Art …).
Matthäus hat Rut mit Bedacht im Stammbaum Jesu erwähnt. Er will einen weiten Bogen spannen von den ursprünglichen großen Verheißungen an Abraham – Segen für die Völker sein, Nachkommen wie Sand am Meer und wie die Sterne – bis hin zu dem, was wir als Taufbefehl kennen. Der Auftrag „Gehet hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker …“ ist vom ersten Satz an das Ziel seiner Erzählung von Jesus. Und diese Völker werden nicht am Schluss mit einem fertigen Beglückungsprodukt überrascht – diese Völker sollen auch schon am Anfang präsent sein. Bei einer rein männlichen Linie würde das in der damaligen Logik nicht gehen – wie auch? Dafür kommt ihm dann Rut gerade recht und natürlich auch auf je ihre Weise Tamar, die auch mal die Frau des berüchtigten Onan war und sich nachher von ihrem Schwiegervater incognito schwängern lässt, die verräterische Hure Rahab in der widerspenstigen Stadt Jericho und die Frau des Uria (genau so steht Bethseba bezeichnenderweise im Stammbaum Jesu!), deren Mann zur Vertuschung der Straftat Davids ermordet wird. Die Erzmütter würden das nicht hergeben, sie waren ja gerade aus dem Grund, sich nicht mit den ihnen Fremden in der neuen Heimat abgeben zu müssen, aus der alten Heimat geholt worden.
Natürlich ist eines der Themen, die Rut anstößt, die auch bei uns latente Ausländerfeindlichkeit, oder sagen wir: Verunsicherung. Trotz manchmal sehr unterschiedlicher familiärer Vorgeschichten ist die Unterscheidung zwischen „Bio-Deutschen“ und von Dazugestoßenen abstammenden Menschen, die natürlich rechtlich eindeutig Deutsche sind, verräterisch. Es wird lange dauern, bis uns die Frage: Wo kommst du ursprünglich her? Oder wo kamen deine Vorfahren her? angesichts erkennbarer äußerer Merkmale nicht mehr in den Sinn kommt. Komisch: Bei Leuten ohne solche Merkmale stellt sich die Frage nicht, obwohl die bei ihnen manchmal erst recht angebracht wäre. Unter Jesusleuten, aber auch in einer christlich geprägten Gesellschaft, sollte das erfahrbar sein, was der alte Goethe als Schlusspunkt seines Osterspaziergangs seinen Faust als Lebensgefühl der im Begegnenden erkennen lässt: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ Interessant ist auch die Zeile davor: „Hier ist des Volkes wahrer Himmel. Zufrieden jauchzet groß und klein …“. Der Himmel ist ein Ort, an dem Menschen einfach und nur Menschen sind und es sein dürfen. Aber was heißt hier: nur Mensch. Es geht nicht mehr, als dass wir Menschen wirklich Menschen sind. Das ist das genaue Gegenteil von den Träumen, eigentlich und irgendwie Götter zu werden, seien es nun solche in weiß oder welche Aufmachung und Qualifikation immer wir im Sinn haben. Ob Goethe das allerdings so gemeint hat?
Ein anderes Rut-Thema ist die Treue. Das ist der Aspekt, der mit dem zentralen Satz der Rut-Antwort in Trauungen zum Zuge kommt. Dabei ist nicht einmal richtig klar, ob Rut für ihre Schwiegermutter Unterstützung oder Belastung ist, wenn sie sich nicht fortschicken lässt. Boas hat es im positiven Sinn interpretiert als Hilfe für Noomi, die sonst ihrer Einsamkeit überlassen bliebe und womöglich auch Probleme mit der Versorgung hätte. Es ist gut, wenn Menschen, die auf vielleicht sehr äußerliche Weise aufeinander gewiesen sind, einander auch verlässlich zur Seite stehen und nicht nach der Auflösung formaler Bande einfach ihrer Wege gehen, als wäre da nie etwas gewesen. Schicksalsgemeinschaften, Freundschaften, Verbindungen warten nicht an der nächsten Straßenecke auf uns – das heißt, sie warten wahrscheinlich schon an sehr vielen Stellen, aber sie wahrzunehmen und dann auch ihnen Gestalt zu geben zu können, ohne übergriffig zu werden oder doch wieder zu enttäuschen, ist schwer, ist wahrscheinlich Glückssache. Auch wenn Noomi und Rut sich nur aus Angst aneinandergeklammert hätten, wäre das richtig. Das Fortschicken ihrer Schwiegertöchter, selbst wenn es aus rationalen Überlegungen geschieht, hätte sich Noomi aus prinzipiellen Gründen sparen sollen.
Ansonsten ist die Rut-Geschichte Anlass, sich einmal den starken Frauen in den biblischen Männerwelten zu widmen, die nicht einfach zurücktreten und es sich in der ihnen zugewiesenen Rolle bequem machen. Es ist ja auch manchmal bequem, alles hinzunehmen und für das Unglück damit die Verhältnisse oder gleich die Männer verantwortlich zu machen. Es gibt noch ein paar mehr starke Frauen als die, an die Matthäus im Stammbaum erinnert. Hinter manchen Namen ist die ganze Geschichte oft mehr zu ahnen als wirklich nachzulesen. Aber schon die vier aus Matthäus 1 haben es in sich. Als fünfte kommt dort ja auch Maria dazu, die in dem Stammbaum nach damaliger und unserer heutigen Logik eigentlich gar nichts zu suchen hat. Aber das ist eine andere Geschichte, die immer wieder am 4. Advent zu erzählen ist.
Pfarrer Hartmut Scheel