Andacht zum Sonntag Palmarum | 5. April 2020

Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben,
das ewige Leben haben. (Johannes 3, 14b-15)

Votum und Gruß

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat, der Bund und Treue hält ewiglich und nicht preisgibt das Werk seiner Hände.

Ich grüße Sie alle herzlich auf recht unvertrauten Wegen. Sie sind nicht hier, wo ich bin. Mauern, Straßen und Türen trennen uns. Auch Verordnungen, Sicherheitsmaßnahmen und Angst trennen uns heute.

Darüber hinaus aber gibt es so viele Dinge, die uns weiterhin verbinden und die uns zusammenhalten sollten, gerade in diesen Zeiten sozialer Distanz. Menschen sorgen auf unterschiedliche Weise für eine weitere Verbindung – über Telefon und Internet, über nachbarschaftliche Hilfe, offene Türen in Kirchengebäuden, durch Gebete, Klatschen und Singen zu vereinbarten Zeiten. Es gibt viele Wege, das Gemeinschaftsgefühl auch in diesen Tagen zu stärken.

Was stärkt uns noch?

Wenn wir die Glocken unserer Kirchen hören, wissen wir: Wir sind nicht allein. An anderen Orten beten, singen und sind viele andere Christinnen und Christen. Uns eint, dass wir auch in der bevorstehenden Karwoche an das Leiden und Sterben Jesu denken. Wir wollen den Weg zum Kreuz mitgehen und ihn am leeren Grab des Ostermorgens enden lassen.

Darum lade ich Sie zur Andacht am Sonntag Palmarum ein – dort, wo Sie sich gerade aufhalten: Zuhause, im Garten oder auf dem Balkon, in unseren Kirchengebäuden. Dieser Sonntag eröffnet die Karwoche und erzählt vom Einzug Jesu in Jerusalem. Nur sechs Tage später soll er am Kreuz hingerichtet werden. Im Zentrum steht heute eine arme Frau, die Jesus durch ein besonderes Ritual ihre große Liebe beweist.

Lied – Singt Jubilate 138

Du bist da, wo Menschen leben, / du bist da, wo Leben ist.
Du bist da, wo Menschen hoffen, / du bist da, wo Hoffnung ist.
Du bist da, wo Menschen lieben, / du bist da, wo Liebe ist.

Christushymnus Philipper 2, 6-11

Christus Jesus, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,

sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,

ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.

Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.

Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist,

dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist,
zur Ehre Gottes, des Vaters.

Kyrie-Gebet

Jesus Christus, als du nach Jerusalem eingezogen bist, haben sie dich jubelnd empfangen. Doch später warst du ganz allein. Du hast gelitten, wurdest getötet. Heute sind wir allein. Wir leiden, wir sterben. Und wir erschrecken über uns selbst, über unsere Selbstsucht, unsere Ungeduld und den Zorn auf andere. Wir bitten dich: Packe du uns an den Schultern und wende uns zu dir! Zeige uns unsere Fehler und Schwächen! Lass uns nicht allein, wenn wir isoliert sind! Lass uns deine Gegenwartspüren! Christus, erbarme dich. Amen.

Markus 14, 3-9

Als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: „Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben.“ Und sie fuhren sie an.

Jesus aber sprach: „Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“

Impuls

Hier stört jemand – und zwar ganz entschieden!

Diese Frau ist nicht vorgesehen. Sie gehört nicht dazu, hier kennt sie auch niemand. Sie bekommt noch nicht einmal einen Namen. Die Frau kommt ungelegen. Man wollte gerade essen, trinken, gemeinsam zusammensitzen – auf jeden Fall war sie nicht vorgesehen. „Wir wollen keine Störung!“

Wer ist diese Namenlose? Sie ist eine arme, machtlose, unbedeutende Person vom Rande der Gesellschaft. Sie gehört zu denen, die mühsam ihr Leben bestreiten und denen Rituale wichtig sind, weil diese ihnen eine Sprache geben, eine Stimme verleihen, die sie sonst nicht haben. Ungefragt betritt die Namenlose den Kreis der Privilegierten, die sich um Jesus scharen und ihm noch dann zuhören dürfen, wenn sich die Tür hinter ihm geschlossen hat.

Wer ist diese Namenlose noch? Vielleicht ist sie auch eine Bedrohung – wie ein Eindringling, der das Ungewünschte in den Kreis der Selbstsicheren hineinträgt, ihnen damit ihre Sicherheit nimmt, sie verstört.

Wer könnte die Namenlose sein? Vielleicht ist sie eine Nachbarin, die längst gesehen hat, dass Hilfe nötig ist, die den wöchentlichen Einkauf mit erledigt und vor der Wohnung abstellt. Sie durchbricht das Schweigen im Treppenhaus. Sie bietet ungefragt ihre Hilfe an – vielleicht durch einen Zettel an der Haustür. Oder sie ist die Krankenschwester hinter dem Mundschutz, die trotz aller Ansteckungsgefahr die Hand ausstreckt und über das Gesicht des Gegenübers streicht. Es könnte die Kassiererin sein, die jeden Tag auf ihrem Platz an der Kasse sitzt, um die Versorgung des Stadtteils mit zu sichern – trotz aller skeptischen Blicke der Kundschaft, sobald sie in die Armbeuge niest.

Wer also ist diese Namenlose?

In dieser Szene gibt es noch all jene, deren Namen wir genau kennen. Es sind diejenigen, die alle anstößigen Frauen und Männer aus dem Dunstkreis ihres Meisters verbannen wollen, um ihm mehr Luft zum Atmen zu verschaffen. Sie organisieren, erteilen Anweisungen, kontrollieren die Fehler anderer. Sie bringen täglich neue Konzepte, Strategien und Leitbilder auf den Weg.

Und auf einmal sind sie selbst angewiesen auf die vielen Namenlosen unserer Gesellschaft, die unscheinbar sind, aber sehen, was als nächstes dran ist. Sie spüren, dass sie sich helfen lassen müssen, abhängig von der Liebe anderer.

Es sind diese wichtigen Menschen, die kleine Zeichen setzen. Sie fangen etwas Neues an, greifen nach dem Telefonhörer und klingeln an der Tür nebenan. Sie singen abends am Fenster Der Mond ist aufgegangen, im Gedenken an die Helfenden, die Kranken, die Einsamen. Sie weinen um unbekannte Tote. Mit solchen Zeichen helfen sie uns, diese und die kommende Zeit zu verstehen.

Die Namenlose greift nach dem Alabastergefäß mit dem teuren Nardenöl und tut, was zu tun ist.

Wir könnten selbst zur Namenlosen werden. Sie nimmt viele Gesichter an, viele Namen wären für sie denkbar.

Jesus aber sprach: „Lasst sie! Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.“

Am Beginn der Karwoche erfahren wir von einer verstörenden Unterbrechung durch eine arme, unbekannte Frau. In einem Akt voller Liebe und Zuwendung salbt sie Jesus. Damit ist die Tonart angegeben für die folgenden Berichte über Jesu Tod und Auferstehung. Das Öl auf seinem Kopf, es pflegt nicht nur sein Haupt, sondern es ist ein Zeichen der Liebe für sie alle, für uns alle. Es verbindet uns und setzt sich als Erinnerung fest.

Da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat. Amen.

Lied EG 402, 1+2

Meinen Jesus lass ich nicht; / weil er sich für mich gegeben, / so erfordert meine
Pflicht, / unverrückt für ihn zu leben. / Er ist meines Lebens Licht; / meinen Jesus lass
ich nicht.

Jesus lass ich nimmer nicht / hier in diesem Erdenleben; / ihm hab ich voll Zuversicht,
/ was ich bin und hab, ergeben. / Alles ist auf ihn gericht’; / meinen Jesus lass ich
nicht.

Fürbitten mit EG 96 Du schöner Lebensbaum des Paradieses

EG 96, 1 Du schöner Lebensbaum des Paradieses. / gütiger Jesus, Gotteslamm auf Erden. / Du bist der wahre Retter unsres Lebens, / unser Befreier.

Dir neigen wir uns zu, halten dir unsere leeren, wundgewaschenen Hände entgegen. Wir haben vieles getan und probiert, um uns selbst zu helfen. Aber wir scheitern immer wieder. Zu dir wollen wir gehen, die entgegengehen und in deine Stadt einziehen.

EG 96, 2 Nur unsretwegen hattest du zu leiden, / gingst an das Kreuz und trugst die
Dornenkrone. / Für unsre Sünden musstest du bezahlen / mit deinem Leben.

Wir bitten dich für die vielen Kranken, für die einsam Sterbenden, für die, die sich Tag und Nacht kümmern und ihre Kräfte verlieren.

EG 96, 3 Lieber Herr Jesus, wandle uns von Grund auf, / dass allen denen wir auch gern vergeben, / die uns beleidigt, die uns Unrecht taten, / selbst sich verfehlten.

Wir bitten dich für alle, die uns stören und zur Last werden, an denen wir uns reiben und die das Leben schwer machen, für die, die mit der Isolation nicht mehr gut umgehen können. Wir bitten für die Vergessenen, die Opfer häuslicher Gewalt, die Hungrigen, die Einsamen.

EG 96, 4 Für diese alle wollen wir dich bitten, / nach deinem Vorbild laut zum Vater flehen, / dass wir mit allen Heilgen zu dir kommen / in deinen Frieden.

Wir bitten dich für die vielen Menschen, die in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen Dienst tun, alle, die unser soziales und wirtschaftliches System aufrechterhalten an den verschiedenen Orten unserer Gesellschaft.

EG 96, 5 Wenn sich die Tage unsres Lebens neigen, / nimm unsren Geist, Herr, auf in deine Hände, / dass wir zuletzt von hier getröstet scheiden, / Lob auf den Lippen.

Dir neigen wir uns zu, halten dir unsere leeren, wundgewaschenen Hände entgegen. Und wir danken dir dafür, dass du dich in so vielen unterschiedlichen Gesichtern zeigst. Wir danken dir für überraschende Zeichen der Liebe und Verbundenheit in diesen Tagen, für freundliche Wort im Alltag, für das Klatschen an Fenstern und das Singen am Abend. Amen.

Vater Unser

Segen

Es segne uns der barmherzige und gnädige Gott, Vater Sohn und Heiliger Geist. Amen.

Lied EG 96, 6

Dank sei dem Vater, unsrem Gott im Himmel, / er ist der Retter der verlornen Menschheit, / hat uns erworben Frieden ohne Ende, / ewige Freude.