Erntedank

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein Höhepunkt, auch in diesem Herbst, wird das Erntedankfest in unseren beiden Gemeinden sein. Es ist der Tag, an dem wir Gott ganz bewusst danken wollen; dafür, dass wir genug zum Leben haben; dafür, dass es den meisten von uns gut geht – ja, im Vergleich zu vielen Menschen in anderen Teilen unserer Welt sogar sehr gut. Es gibt eine kleine biblische Geschichte, die von ihrer Botschaft her gut zum Erntedankfest passt. Sie handelt von einem reichen Kornbauern:

Und Jesus erzählte ihnen ein Gleichnis: »Ein reicher Kornbauer hatte eine besonders gute Ernte gehabt. Was soll ich jetzt tun, überlegte er, Ich weiß gar nicht, wo ich das alles unterbringen soll! Ich hab’s, sagte er, ich reiße meine Scheunen ab und baue größere! Dann kann ich das ganze Getreide und alle meine Vorräte dort unterbringen und kann zu mir selbst sagen: Gut gemacht! Jetzt bist du auf viele Jahre versorgt. Gönne dir Ruhe, iss und trink nach Herzenslust und genieße das Leben! Aber Gott sagte zu ihm: Du Narr, noch in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern! Für wen wird dann das alles sein?«
Lukas 12, 16-20

Der Kornbauer war wirklich gut im Geschäft, seine Lagerhallen reichten nicht mehr aus. Darum bewegten ihn große Pläne – für ein gutes Leben und eine sichere Zukunft – richtiger: für sein gutes Leben, für seine sichere Zukunft. Doch Gott selbst sagt ihm mitten in seine Überlegungen hinein: „Noch in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Für wen wird dann dies alles sein?

Ich habe mich gefragt: Warum lässt Jesus den liebenden Gott hier so hart auf diesen Mann reagieren?! Was hatte der Kornbauer denn falsch gemacht? Seine Felder waren fruchtbar und die Ernte war entsprechend gut. Es gab jede Menge Getreide und andere Feldfrüchte, mehr als jemals zuvor. Kein Wunder, dass die alten Speicherplätze nicht mehr ausreichten. Es war die einzig richtige Lösung, größere Hallen zu bauen, um den Ertrag zu sichern. Jeder hätte doch so gehandelt, oder nicht? Und was spricht dagegen, dass man sich Vorräte anlegt und für schlechtere Zeiten vorsorgt? Das zeugt doch von Weitsicht. Und was ist dabei, dass dieser Mann sich zur Ruhe setzen will, wo er doch nun versorgt ist. Und dass er das Leben dann in vollen Zügen genießen will? Das wünschen wir uns doch alle für unsere Rentenzeit. Was hatte er in Gottes Augen also falsch gemacht?

Ich glaube nicht, dass es Jesus in dieser kleinen Geschichte um das ging, was der Mann getan hatte bzw. tun wollte. Ich denke, es ging Jesus eher darum, was der Kornbauer nicht tat. Was hätte er mit seinen riesigen Vorräten nicht alles Gutes bewirken können! Er hätte den Bedürftigen von seinem Reichtum abgeben können, er hätte anderen Bauern, deren Ernten schlechter waren, helfen können. Er hätte seine Preise beim Verkauf senken können – den Mitarbeitern mehr Lohn zahlen, und Vieles mehr. Aber an so etwas dachte der Kornbauer nicht. Ihm ging es ausschließlich um sich selbst. „Hauptsache, mir geht es gut„.

Doch: Wenn Gott uns mit Gütern und Gaben beschenkt, dann möchte er, dass wir dankbar und verantwortlich damit umgehen. Dann können wir natürlich unser eigenes Leben damit gestalten, daran ist nichts Verwerfliches. Doch gleichermaßen ist das „Du bist gesegnet, und sollst für andere ein Segen sein“ ein hohes göttliches Gebot.

Der reiche Kornbauer hatte dieses Gebot und auch die Dankbarkeit für sein eigenes Gesegnet-Sein vergessen. Dankbarkeit dafür, dass Gott ihm optimale Bedingungen geschenkt hatte – und seine Erträge deshalb so hoch waren. Dankbarkeit dafür, dass er Mitarbeiter hatte, die ihre ganze Kraft gaben, um die Ernte einzubringen. Er teilte nicht, auch nicht mit denen, die durch ihrer Hände Arbeit die Grundlage für sein Leben in Wohlstand erst geschaffen hatten; er sorgte sich nicht um sie – er sorgte sich ausschließlich um sich selbst. Das hatte er in Gottes Augen falsch gemacht – er hatte nicht nur den Geber aller Gaben, sondern auch seinen Nächsten völlig aus dem Blick verloren. Um ihm das zu verdeutlichen, zeigt Gott ihm ziemlich drastisch die Grenze seiner Möglichkeiten auf. „Noch in dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Für wen wird dann das alles (in deinen Scheunen) sein?

Liebe LeserInnen, der Erntedanktag ist auch heute noch, oder gerade auch heute, ein Tag, an dem wir Gläubigen daran denken sollen, wie sehr Gott uns in unserem Leben bis hierher gesegnet und bewahrt hat, wie viel er uns geschenkt hat – uns persönlich und uns als Gemeinden. Lassen Sie uns gerade in diesem Jahr voller schlechter Nachrichten ganz bewusst gemeinsam unsere Gaben auf den Altar unseres Herrn legen – und nicht in der Scheune bunkern. Und lassen Sie uns das Mitgebrachte mit allen anderen teilen, so wie Gott es sich wünscht. Dann wird es ganz sicher ein großes, buntes – und vor allem ein gesegnetes Fest!

Ihre Pfarrerin Ute Pfeiffer