Jeden Tag neu / Andacht zu 2. Mose 16

Manchmal kommt es mir vor, als wäre es unsere Geschichte – erst recht seit März des letzten Jahres: die Wüste, das endlose Wandern und Suchen, das immer wiederkehrende Klagen des Volkes wegen bedrohter Existenzen, und dann noch der einsame Führer, auf dem viel Verantwortung lastet.

Als wäre es unsere Geschichte. Ich sehe die Menschen, die einander aus dem Weg zu gehen gezwungen sind, und denke an die bedrückende Stille bei den Einsamen.

Ich sehe die Bemühungen der Führenden, und ich höre von nicht enden wollenden Notfallanfragen bei den einen und von wachsenden Stapeln unbezahlter Rechnungen bei den anderen. Eine Wüste für Leib und Seele. Hier wie dort.

Das Volk schrie damals zum Herrn:

2 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste.
3 Und die Israeliten sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
4 Da sprach der Herr zu Mose: Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen…

2. Mose 16

Mose muss nichts sagen, der HERR reagiert sofort. Mit Brot in der Wüste. Unser Brot in der Wüste wäre vielleicht der unverhoffte Anruf oder ein persönlich gepacktes Trostpäckchen, ein freier Tag, der auch wirklich frei sein darf, oder eine Spendenaktion gegen den drohenden Betriebsschluss.

Aber man weiß nicht, ob es reicht. Denn auch das Brot in der Wüste damals reichte nur für genau einen Tag: für heute. Was morgen sein würde, blieb ungewiss. Es gab keine Planungen und keine Sicherheit. Es gab nur die Verheißung aus alter Zeit und die Versorgung für heute. Allein für heute war gesorgt.

Das ist ein riskantes Leben – und doch eines, in dem viel Verheißung steckt. Denn das, was das Leben wirklich bereichert, das kann man nicht horten: Liebe nicht und Mitgefühl nicht, Hilfsbereitschaft nicht und auch nicht das Eintreten füreinander.

Diese brauchen wir jeden Tag und immer wieder neu. Gerade jetzt wird das deutlich.

Und das Volk damals wurde tatsächlich trotz der Wüste ausreichend versorgt. Es hat sein Brot des Lebens bekommen. Jeden Tag neu und für jeden einzelnen genügend. Und Gott war mitten unter ihnen:

9 Und Mose sprach zu Aaron: Sage der ganzen Gemeinde der Israeliten: Kommt herbei vor den Herrn, denn er hat euer Murren gehört.
10 Und als Aaron noch redete zu der ganzen Gemeinde der Israeliten, wandten sie sich zur Wüste hin, und siehe, die Herrlichkeit des Herrn erschien in der Wolke…

Das wünsche ich mir, dass wir das wahre Brot des Lebens erhalten und zu schätzen wissen – jeden Tag neu und auch in der Krise. Und ich wünsche mir, dass unser Füreinander wachse und Früchte trage, gerade im Blick auf die bedrohten Existenzen und mit Gott in unserer Mitte – so wie damals in der Wüste, in jener Geschichte, die auch unsere ist.

Gott behüte Sie,

Ihre Pfarrerin Franziska Roeber