Jubilate (25. April 2021)

Der Sonntag Jubilate – Freut euch! – setzt die Osterzeit fort, führt sie zu ihrem Höhepunkt: Die Freude bricht sich endgültig Bahn. Die österliche Freude lädt ein mitzufeiern: Es bricht eine neue Zeit an.

Wochenspruch:

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.“

2. Korinther 5,17

Wochenpsalm: 66

1 Jauchzet Gott, alle Lande! / 2 Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich! 3 Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke! Deine Feinde müssen sich beugen vor deiner großen Macht. 4 Alles Land bete dich an und lobsinge dir, lobsinge deinem Namen. Sela. 5 Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern. 6 Er verwandelte das Meer in trockenes Land, / sie gingen zu Fuß durch den Strom; dort wollen wir uns seiner freuen. 7 Er herrscht mit seiner Gewalt ewiglich, / seine Augen schauen auf die Völker. Die Abtrünnigen können sich nicht erheben. Sela. 8 Lobet, ihr Völker, unsern Gott, lasst seinen Ruhm weit erschallen, 9 der unsre Seelen am Leben erhält und lässt unsere Füße nicht gleiten.

Wochenlieder:

1 Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, Halleluja, Halleluja, in deiner Urständ fröhlich ist. Halleluja, Halleluja.

2 Das himmlisch Heer im Himmel singt, Halleluja, Halleluja, die Christenheit auf Erden klingt. Halleluja, Halleluja.

3 Jetzt grünet, was nur grünen kann, Halleluja, Halleluja, die Bäum zu blühen fangen an. Halleluja, Halleluja.

4 Es singen jetzt die Vögel all, Halleluja, Halleluja, jetzt singt und klingt die Nachtigall. Halleluja, Halleluja.

5 Der Sonnenschein jetzt kommt herein, Halleluja, Halleluja, und gibt der Welt ein‘ neuen Schein. Halleluja, Halleluja.

6 Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, Halleluja, Halleluja, in deiner Urständ fröhlich ist. Halleluja, Halleluja.

EG 110

1 Gott gab uns Atem, damit wir leben. Er gab uns Augen, dass wir uns sehn. Gott hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf ihr die Zeit bestehn. Gott hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf ihr die Zeit bestehn.

2 Gott gab uns Ohren, damit wir hören. Er gab uns Worte, dass wir verstehn. Gott will nicht diese Erde zerstören. Er schuf sie gut, er schuf sie schön. Gott will nicht diese Erde zerstören. Er schuf sie gut, er schuf sie schön.

3 Gott gab uns Hände, damit wir handeln. Er gab uns Füße, dass wir fest stehn. Gott will mit uns die Erde verwandeln. Wir können neu ins Leben gehn. Gott will mit uns die Erde verwandeln. Wir können neu ins Leben gehn.

EG 432

Evangelium: Johannes 15,1-8

1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Predigt zu Apostelgeschichte 17,22-34

Paulus als Reiseapostel in Athen, der Kulturhauptstadt des Griechentums, das damals trotz der Römer den ganzen Mittelmeerraum beherrschte. Paulus in der Stadt der Philosophie, in der selbstbewussten, wenn auch schon ein bisschen heruntergekommenen Wiege der Kultur. Eine geistige Auseinandersetzung des Glaubens mit dem Denken, mit der Sprache des Verstehens steht an.

Paulus (Salzburger Dom) – Quelle: pixabay

Das erste ist der Zorn: Eine Stadt voller Götzenbilder. So friedlich und einfühlsam, wie sich Paulus nachher zu geben versucht, alles geschieht auf dem Hintergrund dieser Erregung, dieser Empörung. Er redet mit den Athenern, mit ihren Juden in den Synagogen und mit all denen auf dem Markt. Er kommt ins Gerede: „Was will dieser Schwätzer? Es scheint, er verkündet fremde Götter …“ Das war gefährlich: in frisch gehaltener Erinnerung war da schon einer präsent, der neue Götter verkündet hatte – der musste den Schirlingsbecher trinken: Sokrates. Gar nicht so sanft wird Paulus auf den Gerichtshügel geschleppt, auf den Areopag.

Nur aus Neugier? – so erzählt uns Lukas, und doch hat die Szene mit Sokrates und am Ort des Gerichtes etwas Bedrohliches. Die Rede selbst, selbst wenn Lukas sie komponiert, Paulus sie selbst also nie gehalten hat, bringt Paulus viel Lob ein: Geschickt, geschickt! Die christliche Empörung hintenan gestellt und schön friedlich:

Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.
Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht. Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.
Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. So ging Paulus von ihnen.
Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig; unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

Apostelgeschichte 17,22-34

So schöne Anknüpfungspunkte gibt es nicht alle Tage. Durch so schön offene Tore einziehen können, auf der Suche nach einem Platz für Gott den auf einem silbernen Tablett serviert bekommen. Wenn es so schön vorbereitete Heiligtümer, Verehrungsort nur gäbe, wo wir nur noch unser Etikett draufkleben bräuchten: „Das ist Gott!“
Gibt es bei den modernen Menschen des 21. Jahrhunderts ein verborgenes Wissen um Gott, das wir nur wieder ans Licht kitzeln müssten? Selbst wenn wir dies annehmen würden und in Theorien ausbauen – es würde bestritten, es würde uns um die Ohren gehauen werden.

Zur 475-Jahrfeier des Reichstages, bei dem Luther verurteilt worden ist, also vor genau 25 Jahren, war ich mit meiner damaligen Jugendgruppe in Worms – wir haben dort den Festgottesdienst gestaltet. Die Hälfte der Jugendlichen, die da mitgemacht haben, war gar nicht getauft, einer bezeichnete sich selbst immer wieder als Atheist – sonst fände er das alles aber ganz okay. Das wirklich gute Fürbittengebet in diesem Gottesdienst stammte aus seiner Feder, im Wesentlichen. Aber ob es in seinem Leben ein Heiligtum gab, das wir ihm als für Gott stehend entlarven könnten? Er hieß sinnigerweise Thomas.
Wir müssen ja, zurück in Athen mit Paulus, ehrlicherweise dazu sagen: So schön und geschickt und mit der ganzen Selbstverleugnung des Zorns Lukas den Paulus da reden lässt, seine Rede ist ganz und gar nicht von Erfolg gekrönt, im Gegenteil: Am Ende stehen Spott und Hohn und ein lachender Abschied: ein andermal vielleicht mehr davon. Paulus verlässt die Bühne, auch der Missionserfolg in Athen ist mäßig, ein paar verstreute Anhänger, es wird erst einmal keine nennenswerte Gemeinde geben in Athen. Korinth heißt dann die zwiespältige griechische Erfolgsgeschichte nach dieser Enttäuschung, und auch dort wird er zwei Briefe lang schwer kämpfen und ringen müssen.

Es hat – vorsichtig gesagt – Grenzen, religiöse Verehrung für irgendetwas auf die Mühlen des christlichen Glaubens zu leiten, genau wie Kirche nicht profitiert von der angeblichen Nachfrage auf dem religiösen Markt: Astrologie, Esoterik und aller möglicher Humbug breiten sich aus, der christliche Glaube bleibt auch bei denen im Geruch des Aberglaubens, mit der Unterstellung absurder Annahmen. Paulus scheitert in Athen in dem Moment, wo er von Auferstehung redet: Anastasia, nie gehört von dieser Göttin. Selbst der Protokollant des Erfolges, der christliche Schriftsteller Lukas konstatiert nichts als: „So ging Paulus von ihnen.“

Vielleicht nicht ganz so plump und vordergründig damit umgehen? Die Verehrungen verfolgen? Die Heiligtümer suchen, vor denen der moderne Mensch willig seine Knie beugt? Wenigstens um den ach so modernen Menschen zu verstehen. Wenigstens, um uns das Erstaunen, Erschrecken – den Zorn des Paulus vorstellen zu können. Da versammeln sich Tausende, Zigtausende um eine relativ kleine Lederkugel und tragen Ergebenheitssymbole mit sich … Da ziehen Generationen vor Veranstaltungsbühnen, auf denen sich „Idole“ bewegen – es ist das gleiche Wort sogar. Das ist kein Zufall.
Ob das alles wirklich vergleichbar ist, ob dieser Blick zutrifft? Sind es die Versicherungspolicen, die in Wirklichkeit der Selbstversicherung dienen? Ich behaupte einfach einmal: Das sind alles nur Symptome. Das Leben selbst steht im Mittelpunkt – und mangels eigenen Lebens gibt es die Flucht in Scheinwelten: Man muss doch etwas haben, man muss sich identifizieren können. Sportliche Niederlagen können eine ganze Nation in Depressionen stürzen. Im Sommer vielleicht wieder zu beobachten, so oder so, bis auf eine Nation verlieren alle irgendwann. Die „action“ im Leben vermittelt sich über Fernsehübertragungen oder zumindest Angebote und spannend, wirklich spannend wird es nur bei Sportveranstaltungen und Spiel-Shows und Serien: Dort findet das Leben statt, daran Anteil gewinnen, mit den richtigen identifizieren und die Siege mitfeiern: Es sind dann auch meine Siege.

Ansonsten gilt uns allemal das Leben, das eigene Leben als höchste und einzige Beute, 70 Jahre lang und wenn es hoch kommt 80 (inzwischen müssten diese Zahlen mal nach oben korrigiert werden, aber niemand traut sich) – und was da nicht geschieht, in dieser Spanne, wie lang immer, zählt nicht und hat mit mir nichts zu tun. Erlaubt ist, was keine Folgen hat, und wer nicht erwischt wird, ist ein Held. Der prominente Steuersünder auf dem Weg ins Gefängnis, sieht sich immer noch als Opfer.

Bei diesen Altären Platz für Gott finden? Eine Stelle, die leer ist? Aber auch Paulus hat es sich so einfach dann doch nicht gemacht. Er verweist seine Zuhörer ja nicht einfach an jenen Altar mit dem leeren Schild „dem unbekannten Gott“. Nein: Gott wohnt garnicht in Tempeln, er lässt sich nicht dienen. Gott ist nicht im Aussortierten zu suchen, Gott ist nicht fern von einem jeden von uns. „In ihm leben, weben und sind wir“ – womit Paulus beim genius loci, bei Platon angekommen wäre. Luther hat das mit seiner Neigung zum Sprachspiel etwas verdorben, was heißt hier „weben“? „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ Die Bewegung unseres Lebens, die unser Sein ausmacht, darf nicht in Scheinwelten stecken bleiben, sich auf Bildschirme beschränken und auf ein Stadion reduziert werden. Bewegung und Sinn erhält das Leben, wo an der Nähe Gottes teilgenommen wird. Wo wir aus dem Zuschauerraum heraustreten und nicht mehr Touristen des Lebens sind. Wo Beziehungen geknüpft werden und die Ausfüllung unserer 70, wenn es hoch kommt 80 Jahre (oder doch ein paar mehr) nicht mehr alles ist. Wo wir uns nicht mehr selbst die Nächsten sind, sondern so gut es geht am Reich Gottes für alle bauen.

Es wird dem Paulus – oder dem Lukas, der hier ganz unpaulinisch ist, vorgeworfen, dass er in seiner Rede sehr abstrakt von Gott redet. Er will offenbar bewusst hier ohne Jesus Christus auskommen, am Ende ist es dann zu spät, von ihm zu reden. Von Gott reden kann man aber nur so, nur mit ihm, so richtig das andere alles war. Die bewegende Nähe Gottes – das ist Jesus Christus. Nur weil er der Herr unseres Lebens ist, können wir in Gott leben, weben und sein. Wie damit in die Götterwelt der Griechen eindringen? Im Korintherbrief die Erinnerung: Die Griechen haben das alles für eine Torheit gehalten, für ausgemachten Blödsinn. Wie damit in die Gottvergessenheit Berlins eindringen?

Es geht wohl nur so, dass von Jesus erzählt wird, und dass überzeugende Gemeinden Jesu Christi für Gott werben – werben, weil hier zu sehen ist, was sonst nicht funktioniert. Es geht offenbar nicht so, dass sich Gemeinde wegschenkt, aufopfert. Das war – und ist? – Programm, nicht überall, aber weit oben: Sich aufgeben zugunsten von anderen: „Kirche für andere“. Das Stichwort stammt von Dietrich Bonhoeffer, er hat damit aber etwas Anderes gemeint als Selbstaufgabe. Es gab im Zusammenhang dieser Debatte eine Obdachlosenzeitschrift, die Kirche nicht trotz, sondern gerade wegen Kirchenasyl, Mitternachtsmission, Obdachlosenberatung und Sozialarbeit fast zur kriminellen Vereinigung erklärt hat. An der Stelle, wo in dieser Zeitung sonst die – meist auch noch von Kirchengemeinden getragenen – Notübernachtungsmöglichkeiten des Winters stehen, werden dann einladend die Kirchenaustrittsstellen mit Öffnungszeiten aufgelistet – das hat mich damals schon nachhaltig erschüttert, war aber wohl bezeichnend: Kirche für andere gibt es nicht unter dem Vorzeichen der Selbstverleugnung. Wird so schon die Verzweiflung von Kirche an sich selbst sichtbar? Nur noch irgendetwas tun und sich irgendwie ein Alibi verschaffen?

Überzeugende Gemeinde, die sich wirklich bewegen lässt, die von ihrem Sein in Gott lebt und sich nicht in bestenfalls gut gemeintem Aktionismus erschöpft! Die mit Jesus Christus, ihrem Herrn, Zeichen setzt in einer Stadt voller Götzenbilder und Ersatzbefriedigungen, die es geduldig aushält, im Namen Gottes mühsam Nähe zu suchen, nicht in Vordergründigem bleibt und billige Pluspunkte sammelt, die Pyrrhussiegen gleichen.

Damit Paulus aus Treptow-Köpenick oder ganz Berlin nicht einfach davongehen müsste wie damals aus Athen. Amen

Pfarrer Hartmut Scheel