Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König.
38 Da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.
45 Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. 51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, 52 und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf 53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. 54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!
55 Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen; die waren Jesus aus Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient; 56 unter ihnen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.
Golgatha, liebe Schwestern und Brüder, dieser Name ist untrennbar mit Jesu Leiden und Sterben verbunden. Golgatha, die Schädelstätte, war ein öffentlicher Hinrichtungsort, ein Ort ohne jede Hoffnung. Römische Soldaten und Folterknechte taten ihren grauenvollen Dienst: Befehl ist Befehl. Nicht nachdenken, nur funktionieren.
Jesus gerät in die Mühlen der Justiz, da ist kein Entrinnen. Gleich Mördern und Räubern ist sein Leben per Gerichtsbeschluss verwirkt. Da ist kein Erbarmen, keine Gnade, kein Ausweg.
Golgatha – steil sind die Kreuze gen Himmel aufgerichtet. Die Erde sammelt Blut, Schweiß und Tränen. Schreie und Stöhnen und Flüche erfüllen die Luft.
Golgatha, ein Ort des Grauens. Ein Menschenleben ist nichts wert, allein seine Kleider, um die das Los geworfen wird.
Mich berührt dieses bloßgestellt Sein. Menschen sterben- und andere sehen zu. Die einen ringen um ihr Leben, die anderen schlagen die Zeit tot, bis ihre Schicht zu Ende ist. Wen rührt hier das Sterben eines Menschen an? Keiner hält inne. Die Handlanger des Todes setzen noch eins obendrauf, eine Aufschrift: Dies ist Jesus, der Juden König. Zu Leiden und Schmerzen kommen Spott und Hohn: Anderen hat er geholfen, wenn du Gottes Sohn bist, steig herab vom Kreuz! Nicht nur die Helfer des Todes, die Mitverurteilten und Waffenträger reißen das Maul auf, auch Vorübergehende, Fromme, Gelehrte. Sie treten förmlich auf den, der schon am Boden liegt.
Matthäus setzt dieser Szene nichts hinzu, kein versöhnendes Gebet: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, wie Lukas es überliefert. Kein Trost für die Angehörigen, wie Johannes es tut: „Siehe hier, dein Sohn, siehe hier, deine Mutter“.
Golgatha ist die Hölle auf Erden, eine Hölle von Menschen gemacht.
Allein das Gebet Jesu, das Aufschrei und Hilferuf in einem ist, lässt eine Hoffnung durchschimmern. Wir kennen das Gebet, denn es gehört in den Eingangspsalm: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ein Gebet, das klagt und fragt und zweifelt … und dennoch, es richtet sich an Gott. In seiner Todesangst und Todesnot wendet sich Jesus an seinen himmlischen Vater mit Worten, die er von seiner Jugend an kennt. Auch, wenn er sich verlassen glaubt, so ruft er dennoch: mein Gott. Als wolle er seine ganze geschundene Existenz in die Arme seines Schöpfers werfen. Mein Gott!
Jesus stirbt und die Welt gerät ins Wanken. Gottes Sohn ist tot, wie kann da noch ein Stein auf dem anderen sein? Beben und Dunkelheit überfällt das Land, als bliebe die Erde stehen. Gott trauert um seinen geliebten Sohn. Und es gibt Menschen die das erkennen: nicht die Frommen, nicht die Gelehrten, nicht die Gemeindevorsteher, ein Hauptmann und seine Truppe begreifen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.
Die Hölle auf Erden – und mittendrin Menschen, die verwandelt werden. Gleich den Toten, die aus den Gräbern auferstehen, wie Matthäus es schreibt, werden die Knechte des Todes zu Zeugen des Lebendigen. Es gibt keinen Ort, an dem Gott nicht anwesend ist.
Selbst die Hölle von Golgatha, selbst die Hölle im Jemen und Syrien – Gott ist da, wo Menschen leiden und sterben, er hält mit ihnen aus, steht ihnen bei. In den Betten der Intensivstationen, in den Hospizen und Pflegeheimen, im Sterbezimmer zu Hause: Gott ist da, er ist an ihrer Seite.
„Sage mir den Ort, an dem ich Gott finden kann“, drängt einer einen Rabbi. Darauf antwortet dieser: Nenne mir einen Ort, wo Gott nicht anwesend ist.
Ist das möglich, auch in tiefster Not eine Ahnung davon zu bekommen, dass Gott mich nicht fallen lässt? Spricht nicht alles gegen ihn? Gegen sein Wort, gegen seine Liebe, gegen seine Allmacht?
Kehren wir noch einmal nach Golgatha zurück. Es gibt nicht nur Kreuz und Tod, Schmerz und Pein. Es gibt auch Solidarität mit den Leidenden, es gibt Gebete für die Sterbenden, es gibt Trauer um die Toten, es gibt Liebe bis zum letzten Atemzug, es gibt Respekt für die Verstorbenen.
Frauen sind es, am Rande von Golgatha. Sie sind Jesus nachgefolgt, bis hierhin. Sie haben sich nicht versteckt, sie sind nicht davongelaufen. Sie tun das einzig Richtige: sie halten dem sterbenden Jesus die Treue. Wo er keine Worte mehr finden kann, beten sie für ihn. Vielleicht ist es ihre Fürbitte, die Jesu letzte Stunden begleiten und die ihn – trotz allem – auf Gott hoffen lässt.
Amen.
Eine gesegnete Karwoche wünsche Ihnen
Brigitte Schneller, Pfarrerin i.R.