Ökumenische Bibelwoche zum Lukasevangelium 5 – Lukas 18,1-8

Bitten und Beharren

Einleitung

„Jesus sagte ihnen ein Gleichnis“. So beginnt dieser Text und gibt damit den Schlüssel zu seinem Verstehen an die Hand. Ich darf erinnern: Ein Gleichnis (im griechischen: Parabel) berichtet von einer besonderen Begebenheit, die in einem zweiten Schritt gedeutet wird. Das Verstehen des Gleichnisses entsteht an den Schnittpunkten zwischen Begebenheit und Deutung.

Das hier zu betrachtende Gleichnis erzählt die besondere Begebenheit in den Versen 2 bis 5. Einem Kammerspiel gleich bringt der Evangelist die Handlung auf den Punkt. Die Verse 1 und 6 bis 8 rahmen dieses Kammerspiel und deuten es. Es handelt sich um ein Gleichnis par excellence.

Gleichwohl erregt dieses Gleichnis immer wieder Anstoß, es wird nicht alles „glatt“. Insofern mögen die folgenden Zeilen helfen, das Gleichnis zu verstehen. Das Anstößige wird bleiben.

Der Richter und die Witwe – ein Kammerspiel
(Lukas 18,2-5)

2 … Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.
3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!
4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
5 will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.

Entfaltung, Teil I

Witwen gehören in der Bibel Alten wie Neuen Testaments zu denen, auf die in besonderer Weise geachtet werden soll. Zur Zeit Jesu waren sie nicht automatisch erbberechtigt und hatten keinen Rechtsbeistand. Auch gab es keine Witwenrente, sie blieben auf die Versorgung durch die Familie angewiesen. Es bedarf nur eines Mindestmaßes an Empathie, sich mit der sozial benachteiligten Witwe zu solidarisieren.

Doch die eigentliche Hauptperson ist der Richter. Er vor allem agiert, seine Gedanken werden berichtet. Und er wird vorgestellt als einer, den bis heute niemand auf dem Richterstuhl wissen will. Er „fürchtet sich nicht vor Gott und scheut sich vor keinem Menschen“, anders gesagt: er ist willkürlich und eigennützig. Von der Witwe wissen wir lediglich zwei Dinge: sie erwartet vom Richter, dass er ihr Recht schafft. Und sie bleibt beharrlich. Letzteres wird in diesem Kammerspiel zu ihrer herausragenden
Eigenschaft.

Der Richter nun bestätigt genau das, was ihm attestiert wird. Ob die Witwe Recht hat, ob er das Recht nach eigenem Gutdünken beugt, wie es der sozial benachteiligten Witwe ergeht – all‘ das interessiert ihn nicht. Es ist ihm egal und das für eine lange Zeit. Nicht egal ist ihm, dass diese überaus hartnäckige Frau kommen und ihm ins Gesicht schlagen könnte. Wohlgemerkt: das passiert nicht, es ist reine Phantasie. Dabei dürfte weniger die Furcht vor der körperlichen Züchtigung entscheidend sein, als die Angst davor, in einer patriarchalen Gesellschaft von einer Frau öffentlich gedemütigt zu werden. Letztlich entscheidet der Richter zugunsten der Witwe, weil es für ihn am vorteilhaftesten ist.

So bekommt in diesem Kammerspiel die Benachteiligte Recht. Und doch bleibt es ein ungeheuerlicher Vorgang.

Die Deutung des Kammerspiels (Lukas 18,1 und 6-8)

1 Jesus sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte,
2 und sprach:

6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?

Entfaltung, Teil II

Jesus erzählt diesen ungeheuerlichen Vorgang. Das gehört zum Jesusbild des Lukasevangeliums dazu, das mehrfach schwer Erträgliches im Munde Jesu schildert (vgl. Lukas 16,1-9). Zugleich stellen die einleitenden Worte Jesu das Kammerspiel in ein ganz bestimmtes Licht. Allzeit beten und nicht darin nachlassen sollen seine Anhänger – genauso hartnäckig wie die Witwe. Darin liegt die entscheidende Aussage des Gleichnisses.

Doch das Anstößige bleibt. Die abschließenden Worte Jesu (Vers 6) bestätigen das Urteil über den Richter. Und der folgende Vers 7 wirft eine ungeheuerliche Frage auf: Sollte Gott die Gebete der Menschen – wie jener Richter – nur erhören, um nicht weiter belästigt zu werden?

Doch das Licht, in das der Evangelist dieses Gleichnis gestellt hat, ist das des Gebets. Und das Ungeheuerliche und Anstößige an dem Gleichnis hilft, den Blick auf die Welt, in der wir leben, nicht zu verstellen: Nicht jedes Gebet wird erhört. Mitunter dauert es sehr lange, bis Gott den Betenden Recht schafft. Hat auch der ungerecht handelnde Mächtige die Wahl, im Sinne Gottes zu arbeiten?

Im ersten Text der Bibelwoche, dem Magnificat, hat Gott mit Maria die Niedrige erhöht. Wenn hier die Witwe Recht bekommt, so wendet sich der Evangelist Lukas den sozial am Rande Stehenden und den Frauen besonders zu. Ja, mehr noch: diese werden im heutigen Text als Gottes „Auserwählte“ bezeichnet. Und ihr Charakteristikum ist es, „zu ihm Tag und Nacht [zu] rufen.“ (Vers 7). Das Gebet im Sinne des Lukasevangeliums kennzeichnet also nicht nur die Hartnäckigkeit, die Betenden dürfen sich unbeschadet ihres sozialen Status und ihres Geschlechtes der Auszeichnung Gottes gewiß sein.

In seinem abschließenden Satz (Vers 8) verweist Jesus auf etwas, was zur Zeit des Lukasevangeliums am Horizont stand. Die Erwartung, dass Jesus bald wiederkommt und Gottes Reich errichtet. Heute spielt diese Erwartung bei den meisten Christen keine große Rolle mehr. Aber die Mahnung, sich die Hartnäckigkeit der Witwe zum Vorbild im Gebet zu nehmen, hat beinahe 2000 Jahre überstanden.

Impulsfragen:

  • Was ist Ihre Vorstellung vom Recht?
  • Gott – so ein bisschen wie der Richter, oder doch eher wie die Witwe?
  • Beten – echt jetzt?

Zum Nachdenken

Als mein Gebet
immer andächtiger und innerlicher wurde,
da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.
Zuletzt wurde ich ganz still.
Ich wurde,
was womöglich noch ein größerer Gegensatz
zum Reden ist,
ich wurde ein Hörer.
Ich meinte erst, Beten sei Reden.
Ich lernte aber,
dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es:
Beten heißt nicht sich selbst reden hören.
Beten heißt:
Still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört.

Søren Kiekegaard – dänischer Theologe

Mit herzlichen Grüßen

Pfarrer Andreas Döhle