Der Pfingstmontag feiert immer noch den Heiligen Geist: Das große Wunder von der überwältigenden Kraft der Wortmeldung Gottes, der wir uns als Kirche verdanken.
Wochenspruch:
„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Sacharja 4,6b)
Wochenpsalm: 118
24 Dies ist der Tag, den der HERR macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein. 25 O HERR, hilf! O HERR, lass wohlgelingen! 26 Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! Wir segnen euch vom Haus des HERRN. 27 Der HERR ist Gott, der uns erleuchtet. Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars! 28 Du bist mein Gott, und ich danke dir; mein Gott, ich will dich preisen. 29 Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.
Lieder
1 Freut euch, ihr Christen alle, Gott schenkt uns seinen Sohn; lobt ihn mit großem Schalle, er sendet auch vom Thron des Himmels seinen Geist, der uns durchs Wort recht lehret, des Glaubens Licht vermehret und uns auf Christus weist.
2 Er lässet offenbaren als unser höchster Hort uns, die wir Toren waren, das himmlisch Gnadenwort. Wie groß ist seine Güt! Nun können wir ihn kennen und unsern Vater nennen, der uns allzeit behüt‘.
3 Verleih, dass wir dich lieben, o Gott von großer Huld, durch Sünd dich nicht betrüben, vergib uns unsre Schuld, führ uns auf ebner Bahn, hilf, dass wir dein Wort hören und tun nach deinen Lehren: das ist recht wohlgetan.
4 Von oben her uns sende den Geist, den edlen Gast; der stärket uns behende, wenn uns drückt Kreuzeslast. Tröst uns in Todespein, mach auf die Himmelstüre, uns miteinander führe zu deinem Freudenschein!
EG 129
1 Strahlen brechen viele aus einem Licht. Unser Licht heißt Christus. Strahlen brechen viele aus einem Licht – und wir sind eins durch ihn.
2 Zweige wachsen viele aus einem Stamm. Unser Stamm heißt Christus. Zweige wachsen viele aus einem Stamm – und wir sind eins durch ihn.
3 Gaben gibt es viele, Liebe vereint. Liebe schenkt uns Christus. Gaben gibt es viele, Liebe vereint – und wir sind eins durch ihn.
4 Dienste leben viele aus einem Geist, Geist von Jesus Christus. Dienste leben viele aus einem Geist – und wir sind eins durch ihn.
5 Glieder sind es viele, doch nur ein Leib. Wir sind Glieder Christi. Glieder sind es viele, doch nur ein Leib – und wir sind eins durch ihn.
EG 268
Epistel = Predigttext: 1. Korinter 12,4-11
(1 Über die Gaben des Geistes aber will ich euch, Brüder und Schwestern, nicht in Unwissenheit lassen. …) 4 Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. 5 Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. 6 Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. 7 Durch einen jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller. 8 Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben; dem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist; 9 einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; 10 einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. 11 Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will.
Evangelium: Johannes 20,19-23
19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. 21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
Pfingsten ist das Fest der Kirche, denn: Kirche ist ein Wunder. Da haben sich eben nicht ein paar Interessierte hingesetzt, eine Gründungsversammlung veranstaltet und dann angefangen zu organisieren: So und so muss es gehen, das brauchen wir noch, ein paar Zuständigkeiten verteilen … Kirche ist ein Wunder, das in eine ganz andere Welt hineinplatzt, in die kleine Versammlung der Jesusleute damals am jüdischen 50-Tage-Fest – Pentekoste auf Griechisch, das ist unser Wort „Pfingsten“. Und dann mit dieser Truppe in die ganze Welt ausstrahlt. Pfingsten geschieht etwas, was ganz und gar nicht zu erwarten war: die nach den Wanderjahren Jesu übriggebliebenen ehemaligen Fischer konfrontieren die übrige Welt mit der Geschichte, die sie miterlebt haben. Und es entsteht nicht Gelächter, sondern Gemeinde. Gemeinde derer, die doch von sich aus so verschiedene Sprachen sprechen und so verschieden unterwegs sind, die sich nun zusammenfinden, die sich einfinden in einer Gemeinde, die von ganz Neuem lebt: von nie Gesehenem und nicht Auszudenkendem. Nein, Kirche ergibt sich nicht aus dem Gewöhnlichen, und wenn wir nur das Gewöhnliche zu zelebrieren hätten, könnten wir es auch lassen: wir wären in der Tat nichts. Zu Pfingsten gewinnt unter Menschen, unter uns Gestalt, was höher ist als alle Vernunft, was nicht zu haben ist unter all dem, was wir selbst uns ausdenken und in die Hand nehmen können. Gott ist eben nicht ein Anhängsel unserer Welt, eine schöne und vielleicht sogar psychologisch hilfreiche Dekoration. Wenn Gott kommt, geschieht Neues und nie Gesehenes, wird die Welt anders. Und Pfingsten feiern wir, weil das kein bloßes Versprechen ist: Es geht nämlich schon los, Gott fängt an, Gott ist am Werk.
Wie gewinnen wir Anteil an dem, was da geschieht, das mit Pfingsten hineingebrochen ist? In Korinth sind sie stolz auf Geistesfähigkeiten, die diesen Anteil darstellen. Stolz auf das Wissen um die göttliche Wirklichkeit von Jenseits der Welt, auf die Fähigkeiten, sich Gott zu nähern und die Begeisterung mitzuteilen, die die Berührung mit Gott auslöst. Man ist stolz darauf, Gemeinde sein zu können mitten in einer gottlosen Welt, man ist stolz darauf, auf dem religiösen Markt etwas Außergewöhnliches bieten zu können. Stolz auf die Geistesfähigkeiten. Trotzdem scheinen sie aus Korinth Fragen zu haben zu den Geistesfähigkeiten. Es gab wohl Streit untereinander, wie sich das denn genau zueinander verhalte, welche Fähigkeiten denn nun besonders wichtig seien, welche peripher und überflüssig. ‚Über die Geistesfähigkeiten‘ lautet die Überschrift (so wäre der Vers 1 besser übersetzt – der Aspekt „Gabe“ kommt im Original gerade nicht vor), die Paulus dem 12. Kapitel seines ersten Briefes nach Korinth gibt. Aber: Paulus schreibt dann unter dieser Überschrift über etwas völlig anderes. Von den Geistesfähigkeiten, nach denen die Korinther gefragt hatten, ist fortan nicht mehr die Rede. Paulus schreibt entschieden und nur über Gnadengaben. Ein Schlag ins Gesicht der so stolzen Korinther. Nein, kein Schlag ins Gesicht, aber eine deutliche Kritik: Da wird geradegerückt, was in Korinth in Schieflage gekommen ist: Gnadengabe, Charisma ist das alles – das ist etwas ganz Anderes und eure Begeisterung über ach so tolle geistliche Leistungen nur verräterisch. Es ist schon die Frage, ob der von Paulus kritisch eingeführte Begriff ‚Gnadengabe‘ von den „Charismatikern“ unserer Tage zu recht gebraucht wird, wenn sie nämlich wieder genau das mit den Gaben tun, was Paulus an den Korinthern sieht: sie brüsten sich mit dem, was in Wirklichkeit nur Gnadengaben. Die Gnadengaben sind zu allererst Geschenk, eben Gaben Gottes und als solche zu betrachten. Glaube ist kein Leistungssport. Glaube ist ein Geschenk – das ist das Erste. Es geht eben nicht um eine religiöse Selbstfindung, darum, sich selbst zu beweisen und sich selbst zu retten, auf die richtige Seite zu treten, den Glauben als Eigentum für uns selbst zu pflegen.
Das Zweite, was Paulus schon durch seine Begriffskorrektur vermitteln will: Die Gnadengaben lassen sofort danach fragen: wozu? Glaube hat Sinn und Ziel, ist eben nicht einfach zum Genießen da. „Zum Nutzen“ steht da lapidar. Der Geist weht, wo er will, aber nicht wahllos hier und da. Der Pfingstgeist offenbart sich gezielt: zum Nutzen. Im Original ist das nicht einmal spezifiziert: zu wessen Nutzen eigentlich? In unserer Übersetzung ist hinzugefügt: Zum Nutzen aller. Wer sind diese „alle“? Die Gemeinde, ihre Glieder in der Gesamtheit, weil die Gemeinde als ein Gesamtorganismus leben soll, in dem jeder seinen Platz und seine Funktion hat? Das ist schon wichtig: Die Gnadengaben dienen dem Aufbau der Gemeinde, müssen sich daran messen lassen. Und wenn es da etwas gibt, was sich in dieser Hinsicht zwiespältig auswirkt, wie etwa das Zungenreden, die himmlische Sprache, die doch nur dazu angetan ist, die geistliche Qualität des da himmlisch Redenden zu unterstreichen, ansonsten aber sinnlos, weil keiner versteht, dann gehört ein Fragezeichen dahinter. Es ist auffallend: Zungenrede, die religiöse Verzückung, kommt als Gnadengabe bei Paulus nur vor im Zusammenhang mit der Gabe ihrer Auslegung. Religiöses Reden hat nämlich nur Sinn, wenn es verständlich gemacht wird. Ansonsten lasst das, liebe Korinther! Es bringt doch nichts, Gottesnähe zu zelebrieren und damit doch nur all den anderen klar zu machen, dass sie weiter weg sind oder ganz fern. Wenn, dann müsst ihr einladen, nicht brüskieren. Wie dann auch die Prophetie nur vorkommt zusammen mit der Gabe, Geister zu unterscheiden. Keine religiöse Vergewaltigung und keine religiöse Angeberei, liebe Korinther. Aufbau der Gemeinde ist das Kriterium – und was dem nicht dient, sondern abschreckend ist oder unter Druck setzt, das ist keine Gnadengabe, sondern das Gegenteil davon.
Paulus zählt eine Reihe von konkreten Gnadengaben auf, benennt sie. Wie hört sich das heutzutage an, dass es da offenbar die Gabe des Wundertuns, der Krankenheilung gab? Natürlich auch der Prophetie und ‚Arten der Sprache‘ – also die Fähigkeit, nicht einfach Bekanntes zur Sprache zu bringen, sondern durch Aussprechen Neues heraufzuführen, nie gesehene Bilder einer anderen Welt entstehen zu lassen? Ist unser heutige Kirche – sind wir in unserer Gemeinde arm? Ich war versucht in der Vorbereitung, jetzt aufzuzählen, was es unter uns an Gnadengaben so gibt: angefangen von ganz praktischen Gaben, die mit Harke oder Besen ausgeführt werden über den Einsatz für Bedürftige, aber ganz wichtig die menschliche Gabe des Vermittelns, Gespräche zu führen, Geduld zum Hören, zum Fragen und Ermutigen. Es ist einfach zu viel! Wir sind so reich. Vielleicht sind unsere Gaben weniger spektakulär, aber effektiv allemal. Wenn, dann muss es darum gehen, zum Mitmachen zu ermutigen, die Gaben auch einzubringen. Jeder und jede hat Gaben, alle sind wichtig, keine darf fehlen im Orchester, das Gemeinde, wenn es gut geht, bildet. Gemeinde ist nicht eine Ansammlung von Mitgliedern und ‚Masse macht’s‘ – Gemeinde ist eine Symphonie aus vielen Einzelstimmen, die erst durch Koordination aller aufeinander, durch das Mittun aller zum Klingen kommt.
Den Blick müssen wir aber auch noch einmal wenden: Was bedeutet das für den Einzelnen in diesem Konzert? Denn das Ganze hat neben der großen Aufgabe noch einen mehr als tröstlichen Aspekt: Menschen sind verschieden, haben verschiedene Gaben. Das ist gut so! Unnötig und höchst überflüssig ist der Selbstzweifel, der sich in Komplexe stürzt, weil ich nicht alles kann. Die Verzweiflung an meinen Unvollkommenheit ist unnötig, wenn ich mich im Ganzen einer Gemeinschaft mit vielen Gaben geborgen weiß. Die Selbstüberforderung des Menschen, der nur sich selbst verpflichtet ist und sich damit hoffnungslos überfordert, ist überholt. Das muss Gemeinde leisten: ihre Mitglieder ergänzen. Sich beschenken, sich ergänzen lassen zu können, meine Ergänzungsbedürftigkeit zu akzeptieren – das ist ein wichtiger Aspekt des christlichen Glaubens. Meine Ergänzungsbedürftigkeit akzeptieren, weil ich mich sowieso schon als ein Beschenkter, ein Begabter vorfinde. Die charismatische Gemeinde ist die Gemeinde der Unvollkommenen, derer, die sich daran freuen können, dass bestimmte Dingen eben die anderen tun – und es gern tun können, ohne dass meinem Stolz ein Zacken aus der Krone bricht. Meine Gaben einbringen können, das heißt immer auch: meine eigenen Grenzen erkennen. Und dabei nicht zu vergessen: Auch meine Fähigkeiten sind nicht meine Leistung und deshalb mein Besitz. Sie sind Geschenke und deshalb nicht nur für mich da.
Auch das ist noch nicht ganz alles. Denn Gemeinde, die Pfingstgemeinde als Wunder Gottes mitten in der Welt ist kein Selbstzweck. Zum Nutzen aller! Die Gemeinde, die Kirche ist ein Charisma an die Welt, die Gnadengabe Gottes für alle Menschen, auch für Tier und Umwelt. Unsere Welt nach Pfingsten, das ist nicht mehr die Welt des Kampfes jeder gegen jede, der Selbstbehauptung und Selbstbestätigung. In der Welt nach Pfingsten ist es möglich, sich ohne Bruch im Selbstwertgefühl als Teil eines Ganzen zu verstehen, sich aufeinander zu beziehen. Menschen sind füreinander da und jeder für sich verloren. Wo jeder und jede für sich lebt, gerät die Welt aus den Fugen, weil eine lebensnotwendige Gabe verloren geht. Gemeinschaft, gegenseitiger Respekt und Solidarität sind mehr als die Organisation der notwendigen Gemeinsamkeiten, mehr als nur die Organisation von Wohlstand und dann jeder gegen jeden. Die Welt nach Pfingsten hat Anspruch darauf, dass die Gemeinde ihre Charismen entfaltet – dass wir der Alternative, dem Neuen Gestalt geben. Dass wir einladen, sich an der Gnade Gottes genügen zu lassen, ergänzungsbedüftig zu sein und zu bleiben – und zu wissen, dass wir vollkommen gemacht worden sind und immer wieder vollkommen gemacht werden.
Amen.
Nachträglich fröhliche und gesegnete Pfingsten!
Ihr Pfarrer Hartmut Scheel