Sonntag Lätare (14. März 2021)

Der vierte, also der mittlere Sonntag in der Passionszeit hebt die tröstliche Seite des Eintretens Jesu für uns hervor und teilt auch in seinem Namen die Freude darüber mit: Es geschieht das alles uns zugute.

Wochenspruch

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Johannes 12,24

Wochenpsalm: 84

2 Wie lieblich sind deine Wohnungen, HERR Zebaoth! 3 Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des HERRN; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. 4 Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, HERR Zebaoth, mein König und mein Gott. 5 Wohl denen, die in deinem Hause wohnen; die loben dich immerdar. Sela. 6 Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! 7 Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, / wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen. 8 Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion. 9 HERR, Gott Zebaoth, höre mein Gebet; vernimm es, Gott Jakobs! Sela. 10 Gott, unser Schild, schaue doch; sieh an das Antlitz deines Gesalbten! 11 Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend. Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause als wohnen in den Zelten der Frevler. 12 Denn Gott der HERR ist Sonne und Schild; / der HERR gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen. 13 HERR Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt!

Wochenlieder

1 Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt, Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt – Liebe lebt auf, die längst erstorben schien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

2 Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab, wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab. Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn? Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

3 Im Gestein verloren Gottes Samenkorn, unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn – hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

EG 98


1 Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide, Jesu, wahrer Gott. Wer will dich schon hören? Deine Worte stören den gewohnten Trott. Du gefährdest Sicherheit. Du bist Sand im Weltgetriebe. Du, mit Deiner Liebe.

2 Du warst eingemauert. Du hast überdauert Lager, Bann und Haft. Bist nicht totzukriegen; niemand kann besiegen deiner Liebe Kraft. Wer dich foltert und erschlägt, hofft auf deinen Tod vergebens, Samenkorn des Lebens.

3 Jesus, Freund der Armen. Groß ist dein Erbarmen mit der kranken Welt. Herrscher gehen unter. Träumer werden munter, die dein Licht erhellt. Und wenn ich ganz unten bin, weiß ich dich auf meiner Seite, Jesu, meine Freude.

Text von Gerhard Schöne

1 Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide, Jesu, meine Zier: ach, wie lang, ach lange ist dem Herzen bange und verlangt nach dir! Gottes Lamm, mein Bräutigam, außer dir soll mir auf Erden nichts sonst Liebers werden.

2 Unter deinem Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei. Lass den Satan wettern, lass die Welt erzittern, mir steht Jesus bei. Ob es jetzt gleich kracht und blitzt, ob gleich Sünd und Hölle schrecken, Jesus will mich decken.

3 Trotz dem alten Drachen, Trotz dem Todesrachen, Trotz der Furcht dazu! Tobe, Welt, und springe; ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh. Gottes Macht hält mich in acht, Erd und Abgrund muss verstummen, ob sie noch so brummen.

4 Weg mit allen Schätzen; du bist mein Ergötzen, Jesu, meine Lust. Weg, ihr eitlen Ehren, ich mag euch nicht hören, bleibt mir unbewusst! Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod soll mich, ob ich viel muss leiden, nicht von Jesus scheiden.

5 Gute Nacht, o Wesen, das die Welt erlesen, mir gefällst du nicht. Gute Nacht, ihr Sünden, bleibet weit dahinten, kommt nicht mehr ans Licht! Gute Nacht, du Stolz und Pracht; dir sei ganz, du Lasterleben, gute Nacht gegeben.

6 Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus, tritt herein. Denen, die Gott lieben, muss auch ihr Betrüben lauter Freude sein. Duld ich schon hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu, meine Freude.

EG 396

Evangelium: Johannes 12,20-24

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen’s Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. [25 Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s bewahren zum ewigen Leben. 26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.]

Sie kommen bald wieder, so hofft die Branche: Touristen, Berlin lebt auch von ihnen. Im Frühling geht es so richtig los, an den Wochenenden, aus aller Damen und Herren Ländern. Es besteht Nachholebedarf, ein neues Schloss, eine neue Vorzeige-U-Bahn, vielleicht ist sogar der neue Flughafen interessant, und überhaupt die Stadt, die Museen, das Nachtleben.

So ähnlich wohl sind damals rund um den Tempelberg Touristen unterwegs, Griechen, die Passah in Jerusalem miterleben wollen. Dies und das steht auf ihrem Programm, unter all dem dann auch Jesus, die Festattraktion aus Galiläa, man muss ihn gesehen haben, das wird es nicht wieder geben: vielleicht ein Autogramm, mit ihm gemeinsam auf einem Foto, noch den Enkeln wird man erzählen: damals in Jerusalem: ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen.

Im Jesus-Musical „Jesus Christ Superstar“ aus den Siebzigern will Herodes, der König, übrigens einer der Söhne des Berüchtigten, auch unbedingt den „Wundermann des Jahres“ erleben, ob er denn nicht eben mal über das Wasser des Swimmingpools gehen könne.

Die griechischen Festbesucher jedenfalls machen sich irgendwie an den Philippus heran, ob er das denn nicht arrangieren könne: Ein Treffen mit Jesus. Der weiß nicht so recht und ahnt vielleicht, dass dieses Begehr ungebührlich ist, aber fühlt sich doch auch irgendwie geehrt und es stünde ja in seiner Macht, was schadet es denn? Gut, besser den Andreas erst mal fragen, wie der das sieht, und mit ihm zusammen die etwas ungehörige Bitte an den Meister herantragen.

Sie blitzen ab. Oder wie sind die Sprüche des Meisters zu deuten? Diese Bitte bleibt an der Oberfläche, und dazu ist er sich jetzt zu schade. „Ich bin nicht nebenbei so einfach mitzunehmen, der Vorführeffekt wird mir nicht gerecht:“ Wird niemandem gerecht – Autogramme sind kindisch, sind vorgetäuschte Begegnung, macht den Angefassten, Gesehenen zum Idol: in seiner Gegenwart gewesen zu sein – als ob das denn irgendetwas besagen würde. Nein, nicht Prominenz, sondern Leben ist das Thema. Schick die Touristen in die Wüste oder zum Davidsgrab. Nicht mit mir. Obwohl es ihm wenig gekostet hätte, ein huldvolles Lächeln, ein „Hallo, ach ihr, woher, aha. Gute Reise dann.“

Aber das wäre das Gegenteil von dem, was er ist. Das wäre nicht Leben, sondern Fassade. Und wer sich ihm als Tourist naht, bleibt fern. Zuschauer gibt es nicht.
Die Antwort aber: die Sache mit dem Weizenkorn. Antike Biologie deutet das Leben so: aus dem Tod die Vervielfältigung. Das passt natürlich wunderbar auf die Passion: Wer hört da nicht Kreuzigung und Auferstehung „für uns“? Aber vielleicht wird das Bild sogar noch schöner mit moderner Biologie: In der Wärme und Feuchte der Erde entfaltet sich das Korn. Gedeutet: Nur im sich Hineingeben entfaltet sich Leben, kommen die eigentlichen, bisher verborgenen Kräfte zum Zuge, keimt, was angelegt und wozu das Korn bestimmt ist. Erst dann wird Leben Leben, alles andere ist Pippifax. Die Fortsetzung: Wer sich scheut, wer sich heraushalten will, eben als Zuschauer im ein bisschen Nippen hier und da, irgendwie Zugegensein – das ist nicht Leben, das ist Selbstbetrug: der fade Nachgeschmack, den Bonbon eingewickelt lutschen und sich wundern, dass er nicht schmeckt: eine Scheinblüte, Leben wie Falschgeld. Leben gibt es nur in der Tiefe, nicht an der Oberfläche. Leben gibt es nur mittendrin, nicht im Vorbeigehen und dem Schielen nach allem Möglichen.

Das banale Beispiel natürlich: Hier in der Haupt- und Weltstadt Berlin die Luft einziehen, Zugegensein, wo das Leben spielt, von einem Event zur nächsten Vernissage und das Versacken in angesagten Klubs. Erst gar keine Übernachtung buchen, mit dem Frühflieger gleich wieder nach Hause, Ausnüchtern im Flug. Oder es eben doch wagen: hier zu bleiben, hier einen Platz suchen, den Ernstfall des Lebens anzugehen, die Verbindlichkeit des nicht nur Vorbeigehens. Wir sind offenbar genau bei diesem Schritt: von der Spaßgesellschaft zum Ernstfall, vom Nippen zum Trinken, vom Sich-im-Kreise-um-sich-selbst-Drehen zum entschlossenen Geradeaus. Berlin weckt Interesse: Hier leben, hier etwas entwickeln. Wer weiß, wie sich das alles nach Corona aussehen wird.
Anders als im Sich-Hineingeben ist das Leben von nun an nicht mehr vorstellbar, das ist das Leben, alles andere nur ein Vorgeplänkel. Wie haben wir das schon für alles, für das Leben selbst halten können? Leben gibt es nicht im Mitnehmen, sondern nur im Geben – auch im sich-dran-Geben. Keine besonders neue Erkenntnis, nicht originell, sondern immer wieder. Dennoch offenbar nötig, gelegentlich dran zu erinnern. Leben besteht nicht im Sammeln und Jagen. Leben wird Leben, wo es sich entfaltet: wo es Keim für neues Leben wird. Wo es sich mitteilt, ausschenkt. Aber wem sage ich das alles?

Der abweisende Jesus in der Geschichte will einladen. Auch die Griechen, denen die Abfuhr gilt: „Kommt, aber wenn, dann kommt ganz! Als Touristenattraktion bin ich missbraucht, wäre ich fehlgedeutet. Geht meinen Weg mit!“

Nun ist der christliche Glaube, dieses Mitgehen auf dem Weg Jesu, kein Masochismus. Wenn das alles eine Einladung zur Leidensgeschichte wäre, würden wohl keine Eltern ihre Kinder taufen lassen – oder nur solche, die ihren Kindern kein besseres Leben gönnen als ihr eigenes – aber wo gibt es schon solche Eltern? Leben wird nicht mit Leiden gleichgesetzt, ganz im Gegenteil. Es bleibt ja nicht das Leiden stehen und wird geadelt. „Wer sein Leben gibt für seine Brüder“ wieder auf Soldatengrabsteinen. Als würde das Leiden mir das Leben beweisen. Das Existenzbeispiel Jesu ist in der Tat ein Modellfall – aber bitte dann auch mit seinem Ende. Und das Ende ist der Triumph. Ein Kind: „Mit dem Jesus, das war ganz schlimm, den haben sie totgemacht, mit Nägeln, durch die Hand. Aber dann, da war Ostern, da ist er – hihi! – wieder aufgestanden.“ Dieses „hihi!“ ist es. Der Triumph des Lebens im Sich-Dran-Geben ist kein Automatismus. Der Triumph des Lebens bleibt ein Wunder.

Christliche Kultur hat es sich lange zu leicht gemacht: hat sich das Leiden schön geredet, in Bildern von Blut und Tränen geschwelgt und darin ihre Erfüllung gesucht. Nicht im Wegwerfen und im Verzicht liegt das Glück, sondern wenn, dann darin: sich ganz überraschend und wider Erwarten plötzlich als Beschenkte zu erfahren. Wir müssen nun nicht die Askese predigen, die „Freuden der Pflicht“, sondern können das Leben erst recht versprechen: in seiner ganzen Fülle. Wir müssen nicht einer von einem schreienden Säugling gebeutelten Mutter das Schlafdefizit als höchste Glück ausmalen. Wir müssen Menschen nicht zu ihrer Not beglückwünschen und unseren Wohlstand beklagen.

Wir laden ein am Modellfall Jesus: Das Durchrechnen und Kalkulieren zu beenden, stattdessen sich das Wunder neuen Lebens gefallen zu lassen. Wir laden ein zur Fröhlichkeit des Trotzdem, in ihm begründet und in der Kraft des auferweckenden Gottes, nicht auf dem dünnen Eis einer Erlebniskultur im verzehrenden Feuer der Spaßgesellschaft. Wir laden ein als seine Kirche zur Sorglosigkeit des Dabei-Seins mit dem Versprechen: Es lohnt sich. Es lohnt sich auch für dich selbst. Denn das ist der Schluss Jesu: „Wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“ Wir dürfen hinzufügen: Und wird das als Glück erfahren, zu Ostern dann ganz bestimmt.

Pfarrer Hartmut Scheel