Der 2. Sonntag in der Passionszeit erinnert an Gottes Zuwendung und macht mit diesem Erinnern deutlich, dass auf unsere Seite eine entsprechende Antwort zu erwarten ist: Dankbarkeit statt Gleichgültigkeit.
Wochenspruch:
„Gott erweist sein Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“
Römer 5,8
Wochenpsalm: 25
1 Nach dir, HERR, verlangt mich. 2 Mein Gott, ich hoffe auf dich; lass mich nicht zuschanden werden, dass meine Feinde nicht frohlocken über mich. 3 Denn keiner wird zuschanden, der auf dich harret; aber zuschanden werden die leichtfertigen Verächter. 4 HERR, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige! 5 Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich! Denn du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich auf dich. 6 Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind. 7 Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen, gedenke aber meiner nach deiner Barmherzigkeit, HERR, um deiner Güte willen! 8 Der HERR ist gut und gerecht; darum weist er Sündern den Weg. 9 Er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen Weg.
Wochenlieder
1 Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet. Dass er das Heil der Welt in diesem Zeichen gründe, gibt sich für ihre Sünde der Schöpfer selber zum Entgelt.
2 Er wollte, dass die Erde zum Stern des Kreuzes werde, und der am Kreuz verblich, der sollte wiederbringen, die sonst verlorengingen, dafür gab er zum Opfer sich.
3 Er schonte den Verräter, ließ sich als Missetäter verdammen vor Gericht, schwieg still zu allem Hohne, nahm an die Dornenkrone, die Schläge in sein Angesicht.
4 So hat es Gott gefallen, so gibt er sich uns allen. Das Ja erscheint im Nein, der Sieg im Unterliegen, der Segen im Versiegen, die Liebe will verborgen sein.
5 Wir sind nicht mehr die Knechte der alten Todesmächte und ihrer Tyrannei. Der Sohn, der es erduldet, hat uns am Kreuz entschuldet. Auch wir sind Söhne und sind frei.
EG 94
1 Du schöner Lebensbaum des Paradieses, gütiger Jesus, Gotteslamm auf Erden. Du bist der wahre Retter unsres Lebens, unser Befreier.
2 Nur unsretwegen hattest du zu leiden, gingst an das Kreuz und trugst die Dornenkrone. Für unsre Sünden musstest du bezahlen mit deinem Leben.
3 Lieber Herr Jesus, wandle uns von Grund auf, dass allen denen wir auch gern vergeben, die uns beleidigt, die uns Unrecht taten, selbst sich verfehlten.
4 Für diese alle wollen wir dich bitten, nach deinem Vorbild laut zum Vater flehen, dass wir mit allen Heilgen zu dir kommen in deinen Frieden.
5 Wenn sich die Tage unsres Lebens neigen, nimm unsren Geist, Herr, auf in deine Hände, dass wir zuletzt von hier getröstet scheiden, Lob auf den Lippen:
6 Dank sei dem Vater, unsrem Gott im Himmel, er ist der Retter der verlornen Menschheit, hat uns erworben Frieden ohne Ende, ewige Freude.
EG 96
Evangelium Johannes 3,14-21
14 Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. 18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. 19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Es sind Wohlstandszeiten in Israel, in die wir mit dem vorgeschlagenen Predigttext für diesen Sonntag aus dem Buch des Propheten Jesaja im 5. Kapitel entführt werden. Die ersten Jahre in der zweiten Hälfte des achten vorchristlichen Jahrhunderts, also 740 etwa vor Christus.
Fette Jahre, aber auch schon Zeichen am Horizont, ein Wetterleuchten davon, dass es nicht einfach so weitergehen wird, Bedrohung von außerhalb. Ein bisschen gespenstisch: Fröhlichkeit, Ausgelassenheit für alle, die nicht genau hinsehen, es einfach hinnehmen, nicht weiter fragen. Bei den anderen vielleicht noch viel mehr: die letzten Tage, was hilft es jetzt, Trübsal zu blasen, Wasser in den Wein der Freude zu gießen? Das wird schnell genug kommen. Nach uns die Sintflut, die Schäfchen wenigstens unsere, ins Trockene, die Enkelgeneration wird dann sehen, wie es weitergeht, sich etwas einfallen lassen müssen. Oder das öffentliche Kalkül: Es wären Konsequenzen mit Einschnitten verbunden, und die nicht durchsetzbar, nicht einsichtig zu machen ohne richtige Katastrophe. Wir wissen, was eigentlich zu tun wäre, und verschieben die Maßnahmen dorthin, wo es zu spät sein wird.
Und natürlich: Es treten eben immer auch die falschen Propheten auf, sorgen für Verunsicherung: Das ist doch gar nicht wirklich so, alles nur interessengeleitete Panikmache – und verschleiern, wie ihre eigene Stillhalteprognose noch mehr oder zumindest genauso interessengeleitet ist. Es gibt keine völlig ohne Eigennutz vorgetragene Perspektive, und sei das Eigeninteresse nur das Budget des Hauses. Es gibt keine nackten Fakten, keine reine Statistik – was will der da, der uns die Welt erklärt, ganz neu? Was will der Innenminister mit dieser Erhebung, warum wird sein Ergebnis vergröbert vorab zitiert? Und warum gerade jetzt veröffentlicht? Nichts ist wirklich Zufall.
Unser Land wie das von damals vor 2760 Jahren, ziemlich genau, ist ein Netz von Beziehungen und Verflechtungen, die uns sagen, es muss so sein, es hilft nichts. Die Frage ist, ob es anders ginge. Die Gemeinschaft von Menschen, jede, ist von Kräften zusammengehalten, die ziehen, drücken, die ihren Ideen, ihren Interessen und Ansprüchen Platz verschaffen. Das kann niemand ohne Schaden ändern, wir müssen es wissen, um Möglichkeiten zu sehen und sie nutzen zu können. Und wenn Änderungen unvermeidlich sind, rechtzeitig vorher und auch hinterher Schreien, damit meine Interessen Vorrang bekommen. Man sehe sich einmal Nachrichten unter diesem Gesichtspunkt an.
In das selbstgewisse Getriebe hinein, vielleicht auf einem Fest, tritt ein Gaukler, zur Unterhaltung scheinbar:
Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.
Und hat sofort die Aufmerksamkeit der Hörer ringsum, soweit die Stimme reicht, aber es wird auch ruhiger, sofort, denn der Weinberg ist eine erotische Metapher und Kabale – danach hört es sich an – sind immer interessant, Klatschgeschichten auf schlüpfrigem Untergrund, sich weiden können am Unglück anderer und zu sehen, dass es denen geht wie uns: es menschelt, und manchmal allzu sehr. Bis heute wird damit Geld verdient, nicht knapp.
Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte edle Reben. Er baute einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.
Dachten wir es uns doch gleich, dass das nicht gut ausgeht, eine enttäuschte Liebe, ohne Echo, ohne Antwort, vielleicht sogar noch Hohn und Spott. Und wir kennen das: Geben uns große Mühe, tun, was wir können, ernten aber keinen Dank dafür, schlimmer, bekommen vorgehalten, dass noch mehr ginge, es ist nie genug. Das Bild ist klar. Das kennen wir auch: Die Mühe um Menschen, womöglich Liebeswerben, und die Zurückweisung, verletzend, vernichtend. Zumindest kratzt es an unsrem Ego. Niemand steckt Zurückweisung, persönliche Kritik so einfach weg. Das Gemeinte ist auch klar.
Und dann nimmt der Freund in diesem Bänkellied selbst das Wort, schiebt den singenden Gaukler gleichsam zur Seite:
Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was soll man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
Sie wissen da in den Gassen der Stadt, beim Fest, dass es Unsinn ist, über einen Garten zu Gericht zu sitzen, und geben diesem Kläger trotzdem recht: Ein Weinberg ohne nutzbare Früchte ist Verschwendung von Ressourcen, wie eine verlorene Liebe unnütz Kräfte bindet, auch wenn das niemand dem Leidenden sagen darf. Erleichterung, wenn der Schmachtende endlich aufgibt, aber er (auch sie, aber wir bleiben jetzt einmal im Bild) muss es selbst tun, von sich aus. Der Beifall der Umstehenden, das „Endlich“ der Zuschauer und der ihm Zugeneigten ist ihm gewiss. Das Urteil über den treulosen Weinberg ist dort in Jerusalem klar.
Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und ich will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
Der Zorn ist mit Händen zu greifen und der Einwand der Naturromantiker, das wäre doch genau das, was das Land von sich aus wolle, die Kultivierung für unser Zwecke ist doch auch eine Vergewaltigung, geht an dem Bild vorbei. Die Weinstöcke jedenfalls werden unter der Unkrautüberwucherung verkümmern und eingehen. Der zornige Freund bekommt den Beifall seines Publikums, obwohl man ja nicht unbedingt so radikal sein muss – aber verstehen kann ich das: Investition ohne Rendite, das hat niemand gern. Klugerweise aber verbrennt man seine Wertpapiere nicht, sondern versucht dem Desaster mit Schadensbegrenzung zu begegnen. Die Gläubiger nehmen auch lieber aus der Insolvenzmasse als die ganze Summe abschreiben zu müssen. Aber verstehen können wir den Zorn, lieber Freund, und wenn du diesen Lehman-Brother-Weinberg einstampfen willst, nur zu. Unseren Segen dazu hättest du, selbst wenn wir klüger wären.
Der Freund singt nicht mehr, es steht plötzlich nur noch der Gaukler da. Die Pointe fehlt noch: Was sollte das Ganze?
Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing.
Diese Deutung der Geschichte macht alles anders, sie stehen mit offenem Mund da: Was soll das, Jesaja? fragen sie nun erst recht. Bedrohlichkeit, wo sie Wohlfühlparolen gewöhnt sind, ätzende Kritik, wo Bestätigung erwartet wird. Warum die Vergangenheit: „an der sein Herz hing“ und was hast du denn – was hat Gott denn? Es ist doch alles gut und in Ordnung, na ja mit Abstrichen, aber was erwartet er denn?
Er wartet auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.
Und er folgen Weherufe, die die Finger in die Wunden – in die Eiterbeulen der Wohlstandsgesellschaft legen: Immobilienspekulation und Wohlleben ohne Rücksicht, Verschleierung und Lüge über Abhängigkeiten, Rechtsbeugung aus Gefälligkeit und Korruption: Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen.
Es wäre das Eine, jetzt mit Jesaja die Gegenwart ins Visier zu nehmen, Verhältnisse zu durchleuchten, vielleicht in genauen Analysen, wahrscheinlich auch nur in Vermutungen, Befürchtungen – Verschwörungstheorien sind wohlfeil.
Das Weinbergslied des Jesaja vermittelt die Einsicht: Es ist so um uns herum. Noch mehr: Wir sind so! Beteiligt, gewissenlose Nutznießer, träge und vorsichtshalber Blinde. Wir wissen: Gott hat recht. Gott hat das Recht, seinen Weinberg – uns verwildern und verkommen zu lassen, ihm die lebenserhaltende Pflege zu entziehen. Darauf zielt dieses Lied: Gott hat das Recht, in Ermangelung von Erträgen seinen Weinberg, uns, seine Gemeinde, seine Kirche, seine Menschen aufzugeben. Es wäre ihm nicht zu verdenken.
Er hätte das Recht, aber solange er Propheten solche Lieder singen lässt, tut er es nicht. Er rennt jedenfalls nicht wutentbrannt zum Weinberg, um die ehemals edlen Reben, die nur Härlinge hervorbringen, ab zu hauen und ins Feuer zu werfen. Es ist ja auch noch ein Akt der Pflege des Weinberges, wenn auch ein verzweifelter, hilfloser: ihm sein Lied zu singen. Das Lied zu singen und damit um die Reben zu werben. Das Lied ist eine – zugegeben: bedrohliche – Werberede. Solange noch Propheten reden, ist nichts endgültig verloren. Das Lied macht deutlich: Gott will es nicht. Gott will nach wie vor, dass da Trauben wachsen, dass etwas herauskommt. Gott investiert noch einmal: Dieses Lied. Eine Warnung – vielleicht. Aber eine Brautwerbung, Liebeswerbung, damit wir aufwachen. Damit wir anfangen.
Denn in der Tat so: Gott hat noch etwas vor. Gott hat noch etwas vor mit uns, er hat uns nicht einfach aus Spaß gerufen. Gerufen, seinem anhaltenden, seinem nicht aufhörenden Werben endlich gerecht zu werden: In einer berechnenden, Besitzstände wahrenden Welt wirklich ein solidarisches Gegenbild abzugeben, eben nicht nur Multiplikatoren der Gleichgültigkeit und Ratlosigkeit zu werden. Wo Recht mit Füßen getreten wird zu zeigen: Es geht, Gerechtigkeit. Wo nur Beziehungen spielen, erlebbar zu machen: Es geht ohne Korruption. Wenigstens unter uns zeigen: Solidarität ist nicht nur ein Wort und man und frau kann sich aufeinander einlassen. Es geht.
Es ist ja eben nicht so, dass Gnade darin besteht, dass Gott es nicht so genau nimmt. Gott ist kein schlecht wirtschaftender Weingärtner, der sich mit Landschaftspflege begnügt, Gott ist kein trottelhafter Liebhaber, der sich alles bieten lässt. Gott wirbt um uns und hofft, er ermutigt und reizt. Und Gott sieht entgegen allen anderslautenden Gerüchten genau hin, zum Glück. Gott wartet, aber er lässt sich nicht ein X für ein U vormachen. Er pflegt den Weinberg weiter, lässt aber deutlich verlauten: Das Recht, ihn jetzt seinem Schicksal zu überlassen, aufzugeben, dieses Recht hätte er. Er nimmt es nicht wahr, sondern lässt weiter werben. Und am Ende finden wir uns – hoffentlich – nicht unter dem Knüppel des Jesaja wieder, mit der Einsicht: „Wir Härlinge“, sondern an seiner Seite: Werben mit Jesaja, werben für Gott. Das ist die Einladung eines alten Propheten: Werben um Rechtsspruch statt des Rechtsbruches. Werben um Gerechtigkeit, statt immer wieder dem Geschrei über Schlechtigkeit Nahrung zu geben.
Pfarrer Hartmut Scheel