„Trinitatis“ ist ein eigenes Fest, es gilt der Dreieinigkeit Gottes: In der alten Kirche – und auch heute immer noch begegnet uns Christen die Frage: Was hat es denn, wenn ihr euch doch auf den Menschen Jesus beruft, mit eurem Gott auf sich? Wie geht das zusammen? Die komplizierte Antwort darauf war damals das trinitarische Reden von Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Frage, was es mit Gott auf sich hat, müssen wir uns immer wieder stellen.
Wochenspruch
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
2. Korinther 13,13
Wochenpsalm: 113
Halleluja! Lobet, ihr Knechte des HERRN, lobet den Namen des HERRN! 2 Gelobt sei der Name des HERRN von nun an bis in Ewigkeit! 3 Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des HERRN! 4 Der HERR ist hoch über alle Völker; seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist. 5 Wer ist wie der HERR, unser Gott, der oben thront in der Höhe, 6 der niederschaut in die Tiefe, auf Himmel und Erde; 7 der den Geringen aufrichtet aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Schmutz, 8 dass er ihn setze neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes; 9 der die Unfruchtbare im Hause wohnen lässt, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird. Halleluja!
Wochenlieder
1 Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Licht, mein Leben, mein Schöpfer, der mir hat mein‘ Leib und Seel gegeben, mein Vater, der mich schützt von Mutterleibe an, der alle Augenblick viel Guts an mir getan.
2 Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Heil, mein Leben, des Vaters liebster Sohn, der sich für mich gegeben, der mich erlöset hat mit seinem teuren Blut, der mir im Glauben schenkt das allerhöchste Gut.
3 Gelobet sei der Herr, mein Gott, mein Trost, mein Leben, des Vaters werter Geist, den mir der Sohn gegeben, der mir mein Herz erquickt, der mir gibt neue Kraft, der mir in aller Not Rat, Trost und Hilfe schafft.
4 Gelobet sei der Herr, mein Gott, der ewig lebet, den alles lobet, was in allen Lüften schwebet; gelobet sei der Herr, des Name heilig heißt, Gott Vater, Gott der Sohn und Gott der werte Geist,
5 dem wir das Heilig jetzt mit Freuden lassen klingen und mit der Engelschar das Heilig, Heilig singen, den herzlich lobt und preist die ganze Christenheit: Gelobet sei mein Gott in alle Ewigkeit!
EG 139
1 Brunn alles Heils, dich ehren wir und öffnen unsern Mund vor dir; aus deiner Gottheit Heiligtum dein hoher Segen auf uns komm.
2 Der Herr, der Schöpfer, bei uns bleib, er segne uns nach Seel und Leib, und uns behüte seine Macht vor allem Übel Tag und Nacht.
3 Der Herr, der Heiland, unser Licht, uns leuchten lass sein Angesicht, dass wir ihn schaun und glauben frei, dass er uns ewig gnädig sei.
4 Der Herr, der Tröster, ob uns schweb, sein Antlitz über uns erheb, dass uns sein Bild werd eingedrückt, und geb uns Frieden unverrückt.
5 Gott Vater, Sohn und Heilger Geist, o Segensbrunn, der ewig fließt: durchfließ Herz, Sinn und Wandel wohl, mach uns deins Lobs und Segens voll!
EG 140
Epistel: Römer 11,33-36
33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) 35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« (Hiob 41,3) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.
Evangelium: Johannes 3,1-8
1 Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. 2 Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. 3 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. 4 Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? 5 Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. 6 Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. 7 Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. 8 Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.
Nachtgespräche haben etwas Eigenes: Ohne Druck, im Prinzip open-end, keine Ablenkungen mehr durch Alltäglichkeiten: So spät ruft niemand mehr an und niemand klingelt mehr, und wenn nicht die eigene Müdigkeit dazwischenkommt, kann es immer so weitergehen. Gut, es sei denn, der Gesprächsstoff geht aus – aber es gibt Gesprächspartner, da passiert das nicht. Nachtgespräche haben ihre eigene Qualität.
Nikodemus meldet sich nächtens bei Jesus, er sucht solch ein Gespräch, das nicht schon unter dem Druck des nächsten Fragers steht und open-end sein könnte. Das nicht von den omnipräsenten Jüngern unterbrochen werden kann und keine anderen Zuhörer hat: intim sozusagen. Oder will er nicht gesehen werden, keinen Verdächtigungen ausgesetzt? So wird dieser nächtliche Besuch, der im Dunkeln bleiben soll, verstohlen, notfalls zu leugnen, meistens verstanden. Da ist auch etwas dran: Jesus schlägt eine feindliche, mehr als misstrauische Öffentlichkeit entgegen, und Nikodemus ist einer von ganz oben. Später wird er im Hohen Rat, als über Jesus befunden werden soll, für Fairness eintreten: Vor dem Urteil gebührt ihm eine Anhörung. Nikodemus taucht dann noch einmal am Karfreitag auf, als der Leichnam Jesu geborgen wird, wenigstens diesen letzten Liebesdienst noch. Er ist ein Sympathisant auf der anderen Seite, neugierig vielleicht: Ich will es wirklich wissen von dir, Jesus, nicht wie die anderen, die nur lauern auf einen Fehler, auf verräterische Zungenschläge. Nikodemus ist integer, ohne Hintergedanken, ehrliche Fragen.
Dabei ist es erst einmal gar keine Frage, die er stellt: Er gibt seiner Bewunderung Ausdruck, ehrerbietig. Niemand kann das tun, was du tust, wenn Gott nicht mit ihm ist. Was erwartet er für eine Erklärung? „Ja, natürlich, ich habe Gott in der Tasche, auf meiner Seite in jedem Fall, er steht mir zur Verfügung.“ Oder weiterführende Einsichten, Weisheit, Techniken … mal so unter uns Theologen und was ich schon immer verstehen wollte und warum? Ein zitierfähiger Satz, Jesus, der vor Weisheit trieft, den ich – wenn er dann erst einmal ausgesprochen ist, mir eigentlich auch selbst sagen kann, weil es so einleuchtend ist, und als Spruchkarte an die Wand nageln. Es gibt für solcherart Weisheiten bis heute einen Markt, ganz gleich, wie platt es sich dann anfühlt, damit wird Geld verdient, und nicht zu knapp: Bücher mit Einsicht und Verständnis und Tiefsinn für jedermann und jedefrau.
Was erwartet Nikodemus? Was erwarten wir? Die Antwort Jesu? Es kommt jedenfalls kein so schönes Nachtgespräch zustande. Die Antwort Jesu, kryptisch, verklauselt, geht an der Frage, an der Erwartung völlig vorbei. Was bis heute eine Botschaft ist im Blick auf religiöse Erwartungen, mit denen Leute zu uns kommen, aber vielleicht auch wir zu Gott, zu Jesus heutzutage. Was erwarten, erhoffen, versprechen sich Menschen – Was versprechen wir uns von Jesus? Besserungen für unser Leben, ein bisschen Aufhilfe, ein bisschen Seelenbalsam und sanfte Ermutigung, Halt und Orientierung für Notfälle, falls uns das Steuer unseres Lebens entgleitet, aber auch nur dann? Dass da noch einer, noch etwas ist, wenn niemand mehr da ist, wenn wir uns an unseren Grenzen Beulen holen oder an den Anderen? Unter den Schirm des Höchsten kriechen können und grüne Auen und einen Stab im finsteren Tal?
Jesu Antwort wäre ein klares Nein: Das nicht. Er lässt Nikodemus mit seinen Erwartungen auflaufen. Oder besser: Ins Leere laufen. Jesus im Johannesevangelium kommt immer wieder arrogant herüber, weil die Fragen, die Erwartungen nicht an ihn heranreichen, weil das Ausmaß dessen, was er ansagt und selbst verkörpert, weit über das hinausreicht, was seine Gesprächspartner, seine Zuhörer überhaupt erfassen können. Lieber Nikodemus, es geht um viel mehr, es geht ums Ganze, es geht um das ganze Leben. Es geht nicht um ein paar kleine und auch größere Reparaturen, es geht nicht um Hilfestellungen und ein bisschen Rezepte für Leben. Neugeburt! Neuanfang, alles anders und auf den Kopf gestellt, das Leben, die ganze Welt aus einem neuen Blickwinkel wahrnehmen. Alles ist anders! Reich Gottes ist nicht ein bisschen Heiligenscheingefunzel und Tiefsinnsoße über ein mühseliges oder vor sich hin stotterndes Leben – mein „Reich Gottes“ ist ein Neuanfang, der seinen Namen verdient. Du kommst zu mir, Nikodemus, weil du dich auskennst, und vielleicht trotzdem ahnst, dass mehr sein könnte. Du bist mit den Möglichkeiten deiner Welt vertraut, weiß um ihre Möglichkeiten und natürlich auch um ihre Grenzen, Schatten. Richtig: Über die Schatten kommt niemand, auch nicht mit springen. Du suchst nach Techniken oder Einsichten, trotz der Schatten und Zäune Wege zu finden im Dschungel des Allzumenschlichen. Du bleibst bei deinen eigenen Möglichkeiten, bleibst bei dem, was in dir steckt: aus Fleisch geboren. Du rechnest nicht mit Gott, wirklich mit Gott. Du rechnest nicht mit dem Geist Gottes, der eben nicht Halt macht vor Gewohntem und scheinbar Feststehedem. Du kannst dir eine Welt, die anders ist als deine Gewohnte, gar nicht vorstellen und bleibst deshalb zu Hause. Und der Gott, nach dem du fragst, ist nur Dekoration und bestenfalls noch Reparaturkasten oder Balkon in einen fernen Himmel. Gott aber heißt: Er verändert alles, es legt ein neues Fundament für das Leben, er tritt dazwischen, wo sich alles fortschreibt und nichts wirklich angetastet wird, er setzt einen Neuanfang, wo der Fortgang mit dem Schlimmsten rechnen lässt.
Gott begründet das Leben völlig neu. Und wo Gott zum Zug kommt, beginnt das Leben neu, gewinnt Kraft und Mut und Hoffnung. Und Gott kommt zum Zug, lieber Nikodemus, liebe Gemeinde, Gott ist schon da, nicht fern, sondern nahe. Gott ist da – das ist das ganze Geheimnis, lieber Nikodemus. Und das verändert alles, wirklich alles. Kein Zusatz, keine Ergänzung einer sonst leidlich funktionierenden Welt, sondern selbst der Grund zu leben, das Fundament der Welt. Hier, bei mir, Nikodemus. Auch wenn du alt bist und meinst, nicht mehr aus deiner Haut heraus zu kommen: Hier geht das.
Die Gegenfragen des Nikodemus sind selten dämlich, zeigen aber, wie er denkt: ganz materiell. Die Neubegründung des Lebens kann er sich nur als reale Geburt vorstellen, aber in den Mutterschoß kommen wir nicht zurück und die Geschichte unseres Lebens werden wir nicht los, niemals. Wie soll das gehen? „Durch Wasser uns Geist“ – für Nikodemus böhmische Dörfer, nicht vorstellbar. Auch für uns nicht wirklich vorstellbar, da bekommen auch wir kein klares Bild hin. Aber das ist die Einladung: Rechnet, liebe Jesusleute, rechnet damit, dass Gott alles neu macht und auch euch neu begründet. Rechnet damit und lasst euch darauf ein. Neugeburt – und dann noch einmal ganz von vorn anfangen zu können mit dem Leben. Und alles als so „Neugeborene“ ganz neu in den Blick zu bekommen. Das ist es, Nikodemus.
Pfarrer Hartmut Scheel