… und ab geht’s!“ – Jesus eröffnet die Grillsaison – Impulse zum Sonntag Quasimodogeniti 2021

Liebe Gemeinde,

wieder ein Sonntag mit einem solch eigenartigen Namen: Quasimodogeniti. Nein, mit dem Glöckner von Notre Dame hat das nichts zu tun. „Wie die neugeborenen Kinder“ bedeutet das lateinische Wort, das der alten Liturgie dieses Tages entstammt. Manche kennen den ersten Sonntag nach Ostern auch als den „Weißen Sonntag“.

Dieser Sonntag ist in den ersten Jahrhunderten der Kirche der Tag gewesen, an dem die Katechumenen und –innen, also die, die an den christlichen Glauben herangeführt wurden, die, die zuvor gelernt hatten, was es heißt, Christ oder Christin zu sein, ganz in die Gemeinde aufgenommen wurden und erstmals das Abendmahl miterleben und mitfeiern durften. Das Abendmahl wurde damals noch nur unter den „Eingeweihten“ gefeiert, nachdem alle, die noch nicht voll und ganz zur Gemeinde gehörten, nach dem ersten Teil des Gottesdienstes die Kirche verlassen hatten. Weiß gekleidet wurden „Neuen“ gesegnet. So ist Quasimodogeniti ein traditioneller Termin für Erstkommunions- und auch Konfirmationsfeiern.

Den Moment, da man so richtig versteht, was da gerade vor sich geht, beschreibt auch der für diesen Sonntag vorgesehene Bibeltext aus dem Johannesevangelium. Da werden die Jünger zu „Eingeweihten“. Sie verstehen plötzlich, dass Gott in diesem Augenblick direkt auf ihr Leben einwirkt. In Jesus ist Gott da: vor ihnen, bei ihnen, unter ihnen. Der Jesus, der gekreuzigt, gestorben, aber auch wieder auferstanden ist. Das ist nicht einfach der Prediger, Heiler und Wundertäter, mit dem sie herumgezogen waren. Und doch kommen sie mit ihm in einer Weise zusammen, die ihnen vertraut ist. Die Gemeinschaft schafft – mit dem Auferstandenen. Und die Gemeinschaft stärkt – die Gemeinschaft untereinander.

Wie lernen eigentlich wir als Gemeinde, wir als Kirche? Wie entwickelt sich unser Glaube? Wie kommen wir zu neuen Erkenntnissen? Ich meine, oft so, wie es der Evangelist Johannes beschreibt: Nicht allen zugleich wird klar, was da geschieht. Einer (oder auch eine) sieht zuerst die Welt mit neuen Augen, mit einem anderen Blick. Eine oder einer kommt darauf, plötzlich in neuen Bahnen zu denken, während die anderen noch im Gewohnten verharren. In diesem Fall der Jünger, den das Evangelium mit „den Jesus besonders lieb hatte“ bezeichnet.

In unserer Geschichte teilt dieser Jünger seine Erkenntnis – und löst damit bei dem nächsten unbändige Begeisterung aus: Simon hört, was sein Mitjünger ausspricht … und ab geht’s! Für Simon gibt es kein Halten mehr, er stürzt sich ins Wasser. Solche Enthusiasten kennen wir. Menschen, die vom Neuen mitgerissen werden. Da kann es nicht schnell genug gehen.

Und die anderen? Sie ziehen mit. Auch sie übernehmen die Erkenntnis. Sie handeln nicht so drastisch wie Simon. Aber das Neue Testament berichtet auch nicht von kontroversen Debatten, von Einwänden oder von Zweifeln (zumindest nicht in diesem Moment). Das mag daran liegen, dass der Auferstandene sich ja bereits vorher den Jüngern gezeigt hatte. Ein gemeinsames Grundverständnis, ein verbindender Konsens, eine Glaubensgemeinschaft ist also schon vorhanden.

Johannesevan-gelium 21,1-14

Später zeigte sich Jesus seinen Jüngern noch einmal. Das war am See von Tiberias und geschah so: Es waren dort beieinander: Simon Petrus, Thomas, der Didymus genannt wird, Natanael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei weitere Jünger. Simon Petrus sagte zu den anderen: »Ich gehe fischen! «Sie antworteten: »Wir kommen mit.« Sie gingen zum See und stiegen ins Boot. Aber in jener Nacht fingen sie nichts.

Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war. Jesus fragte sie: »Meine Kinder, habt ihr nicht etwas Fisch zu essen?« Sie antworteten: »Nein!« Da sagte er zu ihnen: »Werft das Netz an der rechten Bootsseite aus. Dann werdet ihr etwas fangen!« Sie warfen das Netz aus. Aber dann konnten sie es nicht wieder einholen, so voll war es mit Fischen. Der Jünger, den Jesus besonders liebte, sagte zu Petrus: »Es ist der Herr!« Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, zog er sich seinen Mantel über und band ihn hoch. Er war nämlich nackt. Dann warf er sich ins Wasser. Die anderen Jünger folgten im Boot und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Sie waren nicht mehr weit vom Ufer entfernt, nur etwa 100 Meter.

Als sie an Land kamen,  sahen sie dort ein Kohlenfeuer brennen. Darauf brieten Fische, und Brot lag dabei. Jesus sagte zu ihnen: »Bringt ein paar von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt.« Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war voll mit großen Fischen – genau 153 Stück. Und das Netz zerriss nicht, obwohl es so viele waren. Da sagte Jesus zu ihnen: »Kommt und esst!« Keiner der Jünger wagte es, ihn zu fragen: »Wer bist du?« Sie wussten doch, dass es der Herr war. Jesus trat zu ihnen, nahm das Brot und gab ihnen davon. Genauso machte er es mit dem Fisch. Das war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern zeigte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Und es scheint ja so, dass die anderen Jünger keineswegs erst später als Simon bei Jesus am Ufer eintreffen. Ein Seitenhieb gegen Enthusiasten? Wahrscheinlich wäre das überinterpretiert. Deutlich ist, dass zum Mahl alle gleichzeitig, gleichberechtigt und gleichwertig kommen: Der, der vorgeprescht ist, und die, die im Boot geblieben sind. Da wird niemand bevorzugt. Keiner ist im Nachteil.

Am See von Tiberias (Bild: DVHL)

Und um auch da kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Bibel kennt durchaus Meinungsverschiedenheit, Zögern und Zweifel. Die wohl markanteste Szene dazu, die Geschichte vom „ungläubigen“ Thomas, geht unserer See-Episode ja unmittelbar voraus. Und das sicher nicht zufällig! Die hier bedachte Bibelpassage gehört nun einmal in einen Zusammenhang.

Die Kirche – also wir – hören nicht auf, nach Erkenntnis zu suchen. Wir dürfen auch gar nicht mit dieser Suche aufhören. Glaube ist nie fertig – da können wir so gut „eingeweiht“ sein, wie wir wollen. Erkenntnis brauchen nicht nur die anderen, nicht nur die, die noch keinen Glauben haben (oder nicht den vermeintlich richtigen). Denn immer wieder stellt sich auch für Christinnen und Christen die Frage, wie Gott in unser Leben eintritt. Was will Gott? Was will er von uns? Von Dir? Von mir?

Denn es ist ja auch nicht alles gut und hilfreich, was neu ist. Zugleich wirkt aber auch nicht alles, was bei uns eingeübt und Tradition ist, noch segensreich. Wie merkt doch Paulus dazu an: „Prüfet alles, aber das Gute behaltet!“.

Was würde Jesus tun: in dieser oder in jener Situation? Wir brauchen die Offenheit, damit zu rechnen, dass Jesus in unserem Leben auftaucht – auch in den Lebenslagen, in denen wir nicht mit ihm rechnen. Und möglicherweise tritt Jesus uns in einer Weise gegenüber, die wir nicht erwarten, weil sie anders als gewohnt ist.

Was machen wir, wenn eine oder einer von uns sagt: „Da ist Jesus!“? Bin ich begeistert, von Freude erfüllt, nicht mehr zu halten? Zweifel ich und sage: „Das kann doch gar nicht sein!“? Oder steuere ich die neue Situation in Ruhe an, vertraue ich darauf, zusammen mit anderen auf dem richtigen Weg zu sein und das richtige Ziel anzusteuern? Vielleicht nehmen Sie diesen Gedanken mit. Wo lassen wir uns auf Neues ein? Wo sind wir zögerlich – oder behutsam? Denn er macht aus, wie wir als Gemeinde, wie wir als Kirche sind: Die Kirche nach Ostern, die Kirche aufgrund von Ostern.

Gebet

Gott, Du bist der Herr über Leben und Tod, der Gott der Auferstehung und des ewigen Lebens.

Hilf uns, mit offenen Augen und offenem Herzen durch das Leben zu gehen. Lass uns entdecken, wo Du in unserer Welt wirkst und uns einlädst, Dir nahe zu sein.

Schenke uns Verständnis für die, die anders glauben, als wir es für richtig halten. Lass uns erkennen, welche Gemeinsamkeiten wir auch mit diesen Mitmenschen teilen.

Sei denen nah, die Menschen verloren haben oder um das Leben geliebter Menschen bangen. Lass uns darauf vertrauen, dass die Botschaft von der Auferweckung der Toten wahr ist und wirklich wird.

Amen!

Pfr. Jens Nieper arbeitet als Referent für den Nahen und Mittleren Osten beim Berliner Missionswerk und lebt im Baumschulenweg.