Der Text des Evangeliums zum Nachlesen: Johannes 20, 19-29
Dieser 1. Sonntag nach Ostern war für die Christen der frühen Kirche ein wichtiges Datum. An diesem Tag legten die in der Osternacht Getauften ihre weißen Gewänder ab und waren nach Unterweisung und Taufe nun Mitglieder der Gemeinde. Der Weg des Glaubens, des Vertrauens in Jesus Christus, lag vor ihnen.
Was würden Menschen heute sagen, fragte man sie nach ihrem Glauben? Vielleicht würden sie vom Bewahrtwerden und von Wegweisung sprechen, vielleicht vom Mut, den ersten Schritt zu tun und von der Freude an Versöhnung und Gerechtigkeit. Mancher würde sagen, dass sein Gottvertrauen schon in tiefste Krisen geraten ist. In einer solchen Situation sind die Jünger.
Davon hören wir im Evangelium für den Sonntag Quasimodogeniti.
Es war nach Ostern. Sie hatten sich versammelt und die Türen verschlossen. Sie hatten Angst vor den Machthabern, die Jesus ans Kreuz gebracht hatten. Und konnten es immer noch nicht verstehen, was da passiert war, mit Jesus und mit dem leeren Grab, von dem sie gehört hatten.
Eine vertraute Situation, gerade in diesen Wochen, im April 2020. Das kennen wir. Wir trauern um Verlorenes und wissen nicht, was kommt. Wie wird es weitergehen? Viele Menschen stellen sich diese Frage.
Gefangensein in der Angst – diese Erfahrung verbindet uns mit den Jüngern. Da kam Jesus, trat unter sie und sagte: Friede sei mit euch! In die Angst, in die Sorge, in die Ungewissheit trat er hinein, so haben sie es erlebt.
Die Evangelisten haben diese Begegnung nicht aufgeschrieben, um einen historisch detaillierten Bericht über die Wege Jesu zu geben. Nein, sie erzählen wie so oft von einer Begebenheit mit hoffnungsvoller Grundmelodie, erzählen von dem, was schwer in Worte zu fassen ist. Dass Menschen berührt und ermutigt werden: Jesus mitten unter ihnen. Unbegreiflich.
Mancher von uns hat so etwas schon erlebt: Wo es eigentlich nicht weitergehen konnte, da war doch noch ein Schritt möglich – und dann noch einer. Die gute Freundin mit der schweren Diagnose, wie soll sie weiterleben? Sie weiß es nicht, aber sie merkt: Es geht, sie atmet, sie funktioniert, sie überlebt, Es geht weiter. Morgen das und übermorgen das, Schritt für Schritt. Erfahrungen, manchmal unerklärlich und nicht nachvollziehbar, Berührungen und plötzlich Mut und Licht am Horizont.
So mag es den Jüngern gegangen sein: Unbegreiflich. Sie konnten es nur mit diesen Worten erzählen, mit dieser Geschichte: Wir haben es erlebt, er war plötzlich mitten unter uns. Wir haben Frieden zugesprochen bekommen: Friede sei mit euch. Ich bin bei euch. Ihr könnt mir vertrauen.
Und keinem wurde etwas abverlangt in einer solchen Situation. Vertrauen in Gott ist Geschenk.Es wird nicht erzählt, was wir tun müssen, damit wir Ostern und das neue Leben verstehen können, auch nicht, was wir unternehmen müssen, damit wir froh werden.Es wird erzählt, was geschehen ist und was immer wieder geschieht: Nicht die Jünger bewegen sich, nein Jesus kommt, Gott kommt, ist da, mit seinem Frieden. Darüber können wir froh werden.
Und dann hören wir von Thomas, der bei der ersten Begegnung mit Jesus nicht dabei war und nun erzählt bekommt: Er war da, er war es selbst. Der nun seinen Freunden sagt: Ich kann es nicht glauben, dass der Mensch, der am Kreuz gestorben ist, hier unter euch war und zu euch gesprochen hat.
Glauben und Zweifel – manche nennen diese beiden Geschwister, sie gehören doch für uns auch zusammen. Man kann wohl fröhlich singen und gleichzeitig tief zweifeln.
Thomas, einer der Zwölf, auch der Zwilling genannt, war einer, der sich zu Jesus bekannte und doch zweifelte. Wir sind ihm im Glauben so ähnlich, wie ein Zwilling dem anderen. Hier geschieht etwas, was ich nicht begreifen muss, sondern nur annehmen soll: Jesus lebt. Daran auch zu zweifeln ist sehr menschlich.
Aber es geht hier in der Thomasgeschichte nicht um zweierlei Glauben, die nun gar bewertet würden, um einen, der keine Beweise braucht und um einen anderen, der es nötig hätte.
Hinter den zweifelnden Worten des Thomas wird vielmehr eine große Sehnsucht erkennbar. Um Vergewisserung geht es, es wirklich zu verstehen, bloß nicht zu verpassen: Bloß nicht die Chance zu verpassen, das zu verstehen, was mit Jesus zu uns gekommen ist.
Oft gab es mit Konfirmanden Diskussionen, die diese Sehnsucht widerspiegelten, richtig zu verstehen. Sie wollten zweifeln und ihre eigenen Worte und Bilder des Glaubens frei heraussagen dürfen. Das klang dann so: Ich glaube an Jesus Christus. Er ist gekommen, uns zu heilen und uns frei zu machen von allem, was uns abhängig macht. Ich glaube an Jesus, deshalb will ich auf andere zugehen, will mit offenem Visier durch mein Leben gehen.
Solche Sätze sind authentisch. Es sind Worte einzelner und sie haben eine andere Bedeutung als die des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Aber auch sie haben dazu geholfen, dass Menschen im Glauben gewachsen und erwachsen geworden sind.
Thomas der Zweifler, der nach Gott Suchende, er behielt im Kreis der Jünger seinen Platz und durfte so bleiben wie er war. Seine Fragen und seine Zweifel gehören in unsere Gemeinden hinein, sein Zweifel, seine Fragen, sie gehören zu uns.
Friede sei mit euch! Mit diesem österlichen Gruß öffnet Jesus die Tür und kommt zu uns, kam damals und kommt heute zu uns ängstlichen und zweifelnden Menschen. Jesus kommt, Gott kommt und ist für uns da mit seinem Frieden und seinem Licht.
Annette Schwer, Pfn.