Ansprache | Misericordias Domini | 26. April 2020 | Johannisthal

Hirten, Schafherden und satte grüne Weideflächen. Die Texte an diesem Sonntag erzählen in anschaulichen Bildern von der Beziehung des Hirten zu seinen Schafen.

Ganz besonders der 23. Psalm ist zum Inbegriff für ein inniges Verhältnis zum guten Hirten geworden. „Sein Stecken und Stab trösten mich.“ Mit seinem Hirtenstab sammelt er die Seinen und kümmert sich in jeder Lebenslage um ihre Bedürfnisse: ob es nun bedeutet, ihnen grüne Auen und frisches Wasser zu präsentieren, damit sie satt werden, oder ob es bedeutet, sie durch dunkle Täler zu begleiten und nicht von ihrer Seite zu weichen – oder ob es bedeutet, auch angesichts ihrer Feinde für sie da zu sein – jeder Vers spricht von der bedingungslosen Zuwendung jenes guten Hirten zu seinem Schützling.

In dieser Jahreszeit spricht uns vielleicht besonders die grüne Aue an. Ganz gleich, ob uns dabei das Bild einer von Wasser durchzogenen Flussaue vor Augen steht oder eine der Natur überlassenen Feuchtwiese: In jedem Fall stimmt bei diesem Bild das Gleichgewicht der Natur. Zur Aue gehört ausreichend Feuchtigkeit. Von Bächen oder Flüssen erhalten Blumen, Gräser und Kräuter alle notwendigen Nährstoffe. Und auch eine reiche Tierwelt kann in solchen Biotopen leben und gedeihen. Das macht dieses Bild so besonders.

Grüne Auen – gerade die grüne Farbe prägt dieses Bild, das so ausgewogen scheint und im Gleichgewicht. Grün – das ist das große Versprechen, dass der Hirte seinen Schafen machen kann. Er führt sie genau dorthin, wo sie finden, was sie brauchen.

„Grün ist Liebe, habe ich herausgefunden, in ihrem tiefsten Ausdruck.“ So sagt es der Künstler Daniel Eltinger in einem seiner Videos. Und schnell wird deutlich, welch hohe Bedeutung Farben allgemein für seine Wahrnehmung vom Dasein in dieser Welt haben. Sie sind für ihn ein beinah religiöses Erleben. Wenn er so Farbe erlebt, eröffnet sich für ihn damit zugleich eine ganze Gefühlswahrheit. Er identifiziert sich mit einem besonderen Farbgeschehen. So ähnlich wird vermutlich auch unser 23. Psalm funktionieren – über Gefühle, die durch Bilder, Farben oder auch Klänge angesprochen werden und kleine Wahrheiten in uns zum Schwingen bringen:

So vielleicht die Frau, die eine schwere Krankheit überwunden hat und rückblickend erkennt, wie sie von Gott durch all die dunklen Tage begleitet worden ist.

Oder der Wanderer, der sich auf seinem Weg völlig verlaufen hat, in gefährliche Grenzgebiete geraten ist ohne Proviant oder etwas zu trinken. Und der doch auf einen freundlichen Menschen gestoßen ist, dessen Sprache er nicht verstanden hat, der ihm aber eine Mahlzeit gegeben hat und ein Telefon, mit dem er seinen Rückweg organisieren konnte.

Der Psalm wird gerne bei Bestattungen gelesen. Denn er ist geeignet, den Weg des Menschen an der Seite seines Hirten durch sein Leben noch einmal rückblickend nachzuzeichnen. Darin schwingt oft viel Dankbarkeit mit.

Am Beginneines neuen Lebens liest er sich wie ein Wunsch für ein gutes Leben voll Vertrauen auf einen bedingungslosen Rückhalt. Nicht umsonst werden einzelne Verse gerne als Taufsprüche gewählt.

Die grüne Aue: Grün also als „Farbe der Liebe in ihrem tiefsten Ausdruck“ – wie Eltinger es empfunden hat: „Davor ging es ganz schön Blau zu,“ so erzählt Eltinger weiter. Dabei symbolisiert die Farbe Blau für ihn den Tod – blaue Todesbilder. Und weiter kommt er zu der Einsicht: „Grün ist das zurückgekehrte Blau.“ Er findet es zu Ostern wieder und im Verkündigungsgeschehen. Da verdrängt Grün das Blau: Die Liebe überwindet den Tod, kommt neu ins Leben.

Der gute Hirte führt auf satte grüne Ebenen, in die Auen seiner Liebe zu uns Menschen.

Das sind alles bildgewordene Lebenserfahrungen oder, wie Daniel Eltinger es nennt, Identifikationsgeschehen – und gerade zum guten Hirten finden wir zahlreiche weiterer solcher Assoziationen. Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme

Diese Stimme des guten Hirten erklingt auch heute. Sie ist den Schafen vertraut, sie merken sofort: Wir gehören dazu, ihm können wir getrost folgen. Der Prophet Hesekiel lässt Gott selbst von seiner Herde erzählen. Er will sie aus der Zerstreuung wieder zusammenführen, sie um sich sammeln und sie in ihr Land bringen: auf Berge und Hügel, in Täler und auf Weiden – ganze Landschaften breiten sich da vor uns aus. Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht der Herr.

Der Künstler Daniel Eltinger wendete ein besonderes Verfahren für seine Acrylgemälde an: Er trug die Farben nicht direkt auf den Untergrund, sondern strich sie auf Folien und druckte sie dann auf die Leinwand. Auf diese Weise erschien auf der Bildoberfläche das, was ursprünglich innen war und nicht sichtbar. Andersherum verschwand die ursprüngliche Oberfläche unter der Struktur – war noch da und schimmerte durch, bekam aber dadurch eine andere Tiefendimension. Das Innere kehrt sich nach außen, das Unterste zuoberst. Was sich uns präsentiert, war und ist der eigentliche Kern.

Inversion – so nennt er dieses Verfahren, Umkehrung, Umwandlung. So, wie Gott Mensch geworden ist, wie sich der Tod ins Leben verwandelt hat, das Blau zum Grün geworden ist. Oder so, wie Christus von sich selbst sagt: Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

Vom Blau zum Grün: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. Amen.