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Angedacht

Manchmal wünsche ich ihn an meiner Seite. Einen Menschen, der Hoffnung hat, und der Gott nahe steht. Gerade in Zeiten wie diesen. Mit all den „Ich-will“ und „Du-musst“-Rufen, die gewaltig und vielfach gewalttätig durch die Straßen dringen. Mit all den sorgenvollen und schmerzverzerrten Gesichtern. Um mich herum und auf all den Bildern, die auf mich einströmen, sobald ich die aktuellen Nachrichten lese. Da wäre es so schön, einen solchen Menschen um mich zu haben. Ein Trotzdem-Mensch: ein Mensch, der trotzdem Hoffnung hat. Der trotzdem lächelt. Der trotzdem spricht: „Gott ist anders. Gott ist barmherzig.

Vielleicht würde ich mich zunächst aufbäumen. Und sagen: „Der Mensch erdenkt sich doch seinen eigenen Weg. Er ist selbst schlau und weise. Und hat doch fast alles in der Hand.“ Und dann würde ich heftig mit dem Kopf schütteln. Doch weil er ein Trotzdem-Mensch ist, dieser Mann Gottes, würde er sich nicht verunsichern lassen. Er würde sagen: „Der Mensch erdenkt sich zwar seinen Weg, aber er kann trotzdem seinen Schritt lenken lassen“. Und auf meinen fragenden Blick, wie so etwas denn aussehen könnte, würde er anfangen, gemeinsam mit mir zu träumen:

Ein Gerichtsverfahren würde er mir zeigen: Das Papier mit dem Urteil auf dem Tisch der Richterin ist bereits unterschrieben. Noch ehe der Angeklagte überhaupt gehört wird. Die Richterin weiß, was sie zu tun hat. Schließlich ist sie von oberster Stelle instruiert worden. Ich blicke auf die geweiteten Augen des Angeklagten und höre meinen Trotzdem-Menschen sagen: „Noch eine kleine Weile und die Elenden werden sich freuen.“ Und dann sehe ich, wie die Richterin von ihrem Papier aufblickt. Sie sieht auf den Angeklagten und schaut ihn lange, sehr lange an. Sie erkennt die Angst des Angeklagten und stellt unmittelbar eine Frage. Eine offene Frage. Und dann noch eine und noch eine. Der Angeklagte antwortet zunächst zögerlich, dann wird er etwas mutiger, vielleicht auch etwas hoffnungsvoller und erzählt. Ganz klar. Ohne zu dramatisieren. Ohne zu beschönigen. Und die Richterin hört aufmerksam zu. Sie wird nachdenklich und ist es noch, als der Verteidiger spricht. Und am Ende der Verhandlung gibt es ein gerechtes Urteil. Die Richterin hat beide Seiten gehört. Das Papier ist vergessen.

Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der HERR allein lenkt seinen Schritt.

Mein Trotzdem-Mensch und ich träumen weiter: Ich sehe ein Klassenzimmer. Mit vielen Schülern. Einige von ihnen fallen auf. Sie haben andere Normen als die anderen. Sie kleiden sich anders, tragen einen sechszackigen Stern um den Hals oder eine kleine Kappe auf dem Kopf. Sie feiern andere Feste und sprechen von Gott. Ich sehe Zettelchen verteilen und hämische Blicke in Richtung dieser Sternenträger. „Warte nur, bis die Schule aus ist“, höre ich eine Mitschülerin murmeln. Ich blicke auf die verunsicherten Augen des Mädchens, dem diese Worte gelten, und höre meinen Trotzdem-Menschen sagen: „Noch eine kleine Weile und die Elenden werden sich freuen.“ Und dann sehe ich, wie einer von den Zettelchen-Schreibern plötzlich aufblickt. Er sieht das Zittern des Mädchens mit dem Stern um den Hals und erinnert sich an frühere Geschichten, wo diese Sternträger ebenfalls ausgegrenzt wurden, sogar Schlimmeres mit ihnen gemacht wurde, als sie jetzt nach der Schule planen. Warum eigentlich, fragt er sich plötzlich. Was ist denn so falsch an dem, was diese Mitschüler tun oder glauben? Oder ist es doch die Herkunft? Gibt es einen Ort auf dieser Welt, an dem wertlose Menschen wohnen?

Der Mitschüler wartet. Auf den nächsten Redebeitrag des Mädchens. Und dann hört er zu, was sie zu sagen hat. Wie sie die Dinge sieht. In der Pause geht er nach einigem Zögern auf sie zu und fragt. Fragt auch, woran sie glaubt. Sie will erst eine sarkastische Antwort geben, aber antwortet dann doch ganz ruhig und geduldig. Sie ist stolz auf ihren Glauben und auf ihre Familie. Der Mitschüler mit dem Zettel in der Hand wird nachdenklich. Und als nach der Pause ein weiterer Zettel auf seinem Tisch landet, sehe ich, wie er ihn zerreißt.

Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der HERR allein lenkt seinen Schritt.
(Sprüche 16,9)

Liebe Gemeinde,
manchmal nehmen die Konflikte um uns herum kein Ende, ja nehmen sogar noch zu mit durchaus bedrohlichen Ausmaßen. Und dennoch glaube ich fest daran, dass Gott auch darin das letzte Wort hat und behält – und dass wir, die wir an Ihn glauben, an diesem heilvollen Ausgang mitwirken können. Gottes Geist wirkt auch heute noch in uns und mit uns und ich wünsche Ihnen, dass Sie dessen Leuchtkraft gerade jetzt immer wieder erleben – in Begegnungen, die Ihnen wohltun, in Gottes Wort, das Sie tröstet, und in Möglichkeiten wie den obigen, den Geschichten des Lebens zu einem guten Ende zu verhelfen. Denn Jesus Christus verhieß uns:

Ich habe zu euch geredet, dass meine Freude in euch sei, und eure Freude vollkommen werde.
(Johannes 15,11)

In diesem Sinne grüßt Sie Ihre
Pfarrerin Franziska Roeber.

Angedacht

Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe unseres Gemeindegrußes möchte ich einen besonderen Fokus auf die Monatssprüche für Mai und Juni legen. Diese biblischen Worte begleiten uns durch die kommenden zwei Monate und können Inspiration und Orientierung für unseren Alltag und unser Gemeindeleben geben.

Der Maispruch aus dem Buch Joel erinnert uns an unsere Verbundenheit mit der Schöpfung und unsere Verantwortung für die Umwelt. Im Juni richtet der Spruch aus der Apostelgeschichte unseren Blick auf die Überwindung von Grenzen und den Wert jedes einzelnen Menschen. Beide Texte sprechen auf ihre Weise in unsere heutige Zeit hinein.

Monatsvers Mai:

„Zu dir rufe ich, Herr; denn Feuer hat das Gras der Steppe gefressen, die Flammen haben alle Bäume auf dem Feld verbrannt. Auch die Tiere auf dem Feld schreien lechzend zu dir; denn die Bäche sind vertrocknet.“ (Joel 1,19-20)

In diesen Versen spricht jemand, der eine große ökologische Krise miterlebt. Dürre und Feuer haben das Land verwüstet. Hier wird eine Verbundenheit zwischen Menschen und Tieren dargestellt – gemeinsam erleben sie die Notlage unserer Umwelt.

Was mich besonders berührt: Diese Worte könnten auch heute geschrieben sein. Austrocknende Bäche, anhaltende Dürren, Waldbrände – solche Ereignisse kommen immer häufiger vor. Und nicht nur wir Menschen spüren die Folgen. Die gesamte Natur leidet mit uns.

Der Text gibt uns aber auch Hoffnung: Nach der Dürre kommt wieder Regen
nach schweren Zeiten folgen bessere.

„Die Auen in der Steppe grünen wieder, und die Bäume bringen ihre Früchte.“

Diese Hoffnung auf Erneuerung können wir in unser Handeln einfließen lassen. In unseren Gemeinden erleben wir erfreulicherweise Wachstum und Erneuerung – besonders durch die Taufen und Konfirmationen, die in diesen Monaten stattfinden. Jeder neue Mensch in unserer Gemeinschaft bereichert uns und bringt frische Perspektiven.

Umweltbewusstes Handeln hat in unseren Gemeinden bereits Tradition: Die Gemeinde Baumschulenweg engagiert sich schon lange durch die Initiative „Faire Gemeinde“ und den Eine-Welt-Laden für nachhaltiges Handeln. Auch in der Johannisthaler Gemeinde liegt nun seit einiger Zeit ein besonderer Fokus auf diesem Thema, und bald wird auch sie als „Faire Gemeinde“ zertifiziert.

Monatsvers Juni:

„Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf.“ (Apostelgeschichte 10,28)

Dieser Satz markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der frühen Geschichte des Christentums. Petrus, ein Mann mit starken Überzeugungen, lernt hier eine grundlegende Lektion: Niemand sollte ausgegrenzt werden. Damals gab es tiefe gesellschaftliche Gräben zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Manche Menschen galten als „unrein“ und wurden gemieden. Gemeinsame Mahlzeiten waren oft unmöglich, weil kulturelle Unterschiede und Traditionen die Menschen voneinander trennten.

In diesem Moment erlebt Petrus eine Vision, die sein Denken verändert. Er versteht: Was Gott geschaffen hat, soll kein Mensch als minderwertig bezeichnen. Kurz darauf besucht er Menschen, die er zuvor gemieden hätte, und erlebt, wie Grenzen überwunden werden.

Diese Geschichte ist heute aktueller denn je. Noch immer ziehen wir Grenzen zwischen „uns“ und „den anderen“. Noch immer werden Menschen aufgrund verschiedener Merkmale ausgeschlossen oder übersehen. Doch die Botschaft ist klar: Wir sollen eine offene Kirche sein, in der sich jede*r willkommen fühlt!

In unseren Gemeinden wollen wir aktiv für Inklusion eintreten. Der Sommer mit seinen Festen und Begegnungen bietet dafür gute Möglichkeiten! Wir laden alle ein, unsere offenen Türen zu nutzen und Teil unserer Gemeinschaft zu werden.

Besonders die musikalischen Angebote sollen Brücken bauen. Musik spricht eine universelle Sprache, die alle verstehen können. Chormusik und Konzerte im Sommer, sowie der Kantategottesdienst sind Orte der Begegnung für Menschen jeder Herkunft und Lebenssituation. Hier spricht Musik ins Herz hinein.

Ich wünsche Ihnen und uns wunderbare Frühlingsmonate!

Juliane Bach

Angedacht

Vor Kurzem gab es die Situation, dass ein lieber Mensch besorgt um mich war. Ich war darüber sehr berührt und ich habe mich dabei wohl gefühlt. Ein Freund macht sich Gedanken für und über mich und wünscht sich offensichtlich, dass es mir gut geht. Obwohl … vielleicht war es das noch nicht einmal. Es muss uns ja nicht immer gut gehen. Er war in diesem Moment in Gedanken bei mir. Und das hat mir gutgetan. Es tut gut, wenn andere immer wieder in Gedanken bei uns sind.

Es gibt solche Momente/Situationen (im Leben), die vor allem eines diagnostizieren: So wird es nicht ewig weitergehen. Das ist eigentlich nichts Neues. Die Endlichkeit unseres Lebens hier auf der Erde prägt unseren Alltag und unser Wissen und Handeln gehört zu dem Wenigen, wo wir Grenzen vielleicht verrücken, aber nicht abschaffen können.

Auch um es mir selbst bewusst zu machen, schrieb ich dem besorgten Freund: „Ich hab alles, was mensch zur Glückseligkeit braucht.“ Davon bin ich fest überzeugt. Den Segen Gottes kann ich persönlich jeden Tag spüren. Jeden Tag. Auch – oder vielleicht sogar gerade dann – wenn ich von solcher Diagnose erfahre, die bedeutet, dass ein Leben zu Ende geht.

Solche Situationen machen die gemeinsame Zeit wertvoller und sie helfen, im Alltag Prioritäten zu setzen. Aber darf ich mich glückselig fühlen, wenn ich weiß, dass jemand, den ich liebe, nicht mehr lange leben wird? Darf ich mich still auf eine Beerdigung freuen, wenn ich den verstorbenen Menschen hier in meinem Leben vermissen werde?

Dann haben wir uns Sprachnachrichten geschickt. Ich habe mich gefreut, die Stimme des Freundes zu hören. Ich habe seine Nähe gespürt, (obwohl er weit weg war), und ich habe mich verbunden gefühlt, (obwohl es da noch andere Menschen gibt, deren Verbundenheit rein quantitativ auch ausreichen könnte). Da gab es kein Problem zu lösen, nichts zu erledigen und nichts zu schaffen.

In der ‚Männer-Bibel‘ von Richard Rohr steht auf der Seite 281:
„Je tiefer wir in das Mysterium von Christus eintauchen, desto durchlässiger wird die Grenze zwischen Freude und Leid, zwischen den Tränen der Freude und den Tränen der Traurigkeit. Für einen Mann, der sein Herz Gott geschenkt hat, gibt es am Ende nur noch eine Frage: „Erfülle ich Gottes Willen?“
Anders ausgedrückt: Helfe ich Gottes Menschen? Ob die Antwort darauf Glück oder Traurigkeit in uns auslöst, ist dann nicht mehr von Bedeutung. Darin liegt das Paradox unseres Glaubens: dass wir Freude empfinden können, wenn wir tiefgreifend mit oder für andere leiden, und dass wir Traurigkeit empfinden, wenn wir uns vom Schmerz der anderen abwenden und nicht daran teilhaben.“

Ihre Carmen Khan

Angedacht: Die Jahreslosung 2025

„Prüft alles und behaltet das Gute“ (1. Thessalonicher 5,21)

Liebe Gemeindemitglieder,

wenn die Tage kürzer werden und das Jahr sich dem Ende neigt, laden uns die kahlen Bäume und die ruhende Natur zum Innehalten ein. In dieser Zeit der Besinnung erreicht uns die Jahreslosung für 2025: „Prüft alles und behaltet das Gute.“

Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem alten Kleiderschrank. Er ist vollgestopft mit Erinnerungen, Gewohnheiten und Überzeugungen. Einiges davon tragen Sie täglich, anderes hat schon lange keinen Nutzen mehr. Die Jahreslosung ermutigt uns, diesen Schrank gründlich auszumisten.

Öffnen Sie die Türen weit und nehmen Sie jedes Stück in die Hand. Dieser abgetragene Pullover – sind es liebgewordene Gewohnheiten, die uns Halt geben, oder hinderliche Muster, die uns einengen? Oder die glänzende Brosche – ist es ein wertvoller Grundsatz unseres Glaubens oder nur oberflächlicher Schein?

Der Winter mit seinen langen Abenden schenkt uns die Zeit für diese Bestandsaufnahme. Wie ein Gärtner, der seinen Garten für den Frühling vorbereitet, dürfen wir unter der kargen Oberfläche nach verborgenen Schätzen suchen.

Vielleicht entdecken wir unter welkem Laub die ersten zarten Triebe neuer Ideen oder Beziehungen. Die Jahreslosung fordert uns nicht nur zur Prüfung auf, sondern ermutigt uns auch, das Gute zu behalten. In einer oft hektischen Welt erinnert uns dieser Vers daran, dass es überall Wertvolles zu finden gibt – wenn wir nur genau hinschauen. Vielleicht finden wir in der Gemeinschaft unserer Kirche Wärme und Geborgenheit, wenn draußen eisige Winde wehen. Oder wir erkennen in den kleinen Gesten der Nächstenliebe, die uns im Alltag begegnen, Gottes Wirken in der Welt.

Wenn wir am Silvesterabend das alte Jahr verabschieden, können wir dies mit geschärftem Blick tun. Wie ein Wanderer, der seinen Rucksack für die nächste Etappe packt, dürfen wir dankbar das Gute mitnehmen und gleichzeitig loslassen, was uns belastet.

Die ersten Wochen des neuen Jahres, wenn die Tage langsam wieder länger werden, sind eine wunderbare Zeit, um das bewahrte Gute wachsen zu lassen. Wie eine sorgsame Gärtnerin können wir es hegen und pflegen.

Lasst uns gemeinsam in dieses neue Jahr 2025 gehen, mit offenen Augen und Herzen, bereit zu prüfen und das Gute zu bewahren. Möge Gott uns die Weisheit schenken, zu erkennen, was wirklich wertvoll ist, den Mut, loszulassen, was uns nicht weiterbringt, und die Kraft, das Gute in unserem Leben und unserer Gemeinschaft zu stärken.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnachts- und Winterzeit, einen guten Jahreswechsel und ein erfülltes neues Jahr 2025.

Ihre Juliane Bach

Angedacht

Ich glaube ja langsam, das hat System. Also bei Gott. In meinem eigenen Leben habe ich das schon eine Weile beobachtet und in der Bibel ist es mir jetzt auch aufgefallen. Gott zeigt sich nicht dann, wenn alle pünktlich, mit frisch gebügelten Klamotten, gut vorbereitet und ausgeschlafen zu einem Termin erscheinen. Gott zeigt sich lieber dann, wenn alles andere im Chaos zu versinken scheint.

Genau so hat es aus menschlicher Sicht mit Gott überhaupt erst angefangen. Da war das berühmte Tohuwabohu und genau da, dachte sich Gott, macht sie die Welt rein. Ein anderes geflügeltes Wort ist ‚Sodom und Gomorra‘ geworden. Unzucht und Durcheinander – wofür Gott wesentlich mehr Verständnis und Nachsicht hat als wir Menschen.

Vielleicht ist es sogar so, dass Gott uns dieses ganze Geplane und Vorgesorge gerne abnehmen würde. Manna zum Beispiel lässt sich nicht als Vorrat anlegen. Was Menschen extra mehr sammeln, um später noch was davon zu haben, das wird ungenießbar.

Mit Jesus wird es völlig offensichtlich. Sein berühmter Gang auf dem Wasser findet während eines gewaltigen Sturmes statt und die Speisung der 5000 ist auch nur notwendig, weil 4999 Leute ihre Brotbox vergessen haben.

Bei den berühmtesten Gleichnissen handelt es sich um verlorene Dinge. Söhne, Schafe und Groschen. Kein einziges Mal ist dabei die Moral: Passt doch besser auf eure Sachen auf. Und im Johannesevangelium ist es das erste Wunder, das Jesus wirkt: Für die Hochzeit wurde zu wenig Wein besorgt, statt sich zu beschweren, macht Jesus welchen aus Wasser.

Soll das jetzt heißen, wir sollten alle noch schusseliger werden? Vermutlich ist das nicht der Punkt. Doch wir könnten schon gnädiger werden mit uns selbst und es uns nicht nachtragen, wenn wir mal was verbaseln, oder gar ständig vergessen, an irgendwas zu denken.

Und wir müssen keine Angst haben vor dem was kommt. Vor den vielen uns bevorstehenden Ereignissen, vor dem, was wir alles müssten und vor den Konsequenzen, weil wir irgendwas nicht früher erledigt haben. Dass Gott uns Leben geschenkt hat, bedeutet eben auch, dass sie es mit uns leben möchte. Nicht organisieren, managen und strukturieren. Leben.

Ihre Carmen Khan

Gleichgewicht

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt die alte Fabel „vom Aufstand der Organe“ aus der Antike: Eines Tages beschlossen die Körperteile, dass sie es satt hatten, ständig für den Magen zu arbeiten, der scheinbar nichts für sie tat. Die Hände führten kein Essen mehr zum Mund, die Zähne weigerten sich zu kauen, und der Mund schluckte nichts mehr. Doch ohne die Verdauung durch den Magen wurde der ganze Körper schwächer und drohte zu verhungern. Schließlich erkannten die Körperteile, dass sie aufeinander angewiesen sind, und nahmen ihre Arbeit wieder auf.

Diese Fabel zeigt uns, wie wichtig jeder einzelne Teil im Körper ist. Paulus greift dieses Bild im ersten Brief an die Korinther auf, um die Gemeinde als einen Körper zu beschreiben, bei dem jedes Glied seine spezielle Aufgabe hat.

„Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, so auch Christus“
(1. Korinther 12,12).

Die christliche Gemeinde besteht aus vielen verschiedenen Menschen, die alle ihre eigenen Gaben und Fähigkeiten haben. Diese Verschiedenheit ist keine Schwäche, sondern eine Stärke.

Wir haben viele verschiedene Glieder in unseren Kirchengemeinden Baumschulenweg und Johannisthal: einige, die hervorragende Texte verfassen, andere, die mit Blumensträußen die Kirche verschönern, putzen, Texte im Gottesdienst lesen, regelmäßig Werbung verbreiten, Feste vorbereiten, die Kirche aufschließen, Menschen zuhause besuchen, ehrenamtlich den Gemeindegruß betreuen, Plakate erstellen und vieles mehr. Wir sind wie ein bunter Blumenstrauß, der die Vase mit allen Gaben füllt. Oder wie es noch ein paar Wochen zu bestaunen ist in der Installation in der Johannisthaler Kirche: die einzelnen Glieder, bunt und unterschiedlich geformt, sind alle wie in einem Mobile verbunden. Jedes Teil hat seine eigene Form und Funktion, aber nur wenn alle Teile vorhanden sind und im Gleichgewicht hängen, bewegt sich das Mobile harmonisch. Fehlt ein Teil oder wird eines überbewertet, gerät das Mobile aus dem Gleichgewicht. So ist es auch mit unserer Gemeinde – jede und jeder von uns trägt zur Balance und zum Leben der Gemeinschaft bei.

Wir leben in Vielfalt. Niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen, nur weil er oder sie anders ist. Paulus betont, dass alle Glieder gebraucht werden, um die Gemeinde voll funktionsfähig zu machen.

„Wenn der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum gehöre ich nicht zum Leib!, gehört er deshalb etwa nicht zum Leib?“ (1. Korinther 12,15).

Jede Gabe und Fähigkeit ist wichtig und jede Person trägt zum Wohl der gesamten Gemeinschaft bei. Denn besonders über die vermeintlich unscheinbaren und kleinen Glieder schreibt Paulus:

„Gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich“
(1. Korinther 12,22).

In diesem Sinne wünsche ich uns in den Gemeinden weiterhin ein gedeihliches, bereicherndes und nährendes Miteinander!

Ihre Juliane Bach

Angedacht

Es ist viele Jahre her, da habe ich eine so stressige Gemeindesituation erlebt, da hat der Kantor zu mir gesagt: „Ich komme überhaupt nicht mehr zum Üben.“ Ich dachte bei mir „ich auch nicht“ und begann erst dann zu überlegen, wie die Übung einer Pfarrerin aussieht. Ich muss gestehen, die Frage hat mich einige Jahre begleitet, doch inzwischen kann ich sie klar und deutlich beantworten: Beten.

Die Übung einer Pfarrerin ist beten, weil die Übung gläubiger Menschen beten ist. Damit meine ich nicht, in ausschweifenden Reden Gott die Welt erklären, ich meine damit auch keine Hilferufe, die wir als Stoßgebete dann aussenden, wenn uns nichts anderes mehr zu tun einfällt und vor allem meine ich damit keine Selbstdarstellungen religiöser Leute. Ich meine damit, da sein. Gottes Geschenke auspacken und annehmen. Das Leben nicht weiter vor sich herschieben, sondern leben. Ja, das kann mensch üben. Wir nennen diese Übungen gerne Kontemplation, Meditation, Konzentration, Fokussierung, Präsenz, Sitzen, Trance … und ab und an auch Gebet.

In der Passionszeit habe ich es Herzensgebet genannt. Immer mittwochabends waren die Treffen. Wir saßen im Kreis und haben geatmet. Zehn Minuten lang. Beim Einatmen haben wir „Jesus Christus“ gedacht und beim Ausatmen „erbarme dich meiner.“ Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, die helfen, aus dem Gedankenkarussell auszusteigen – ein Nickerchen ist keine davon.

Auch meine Faszination für Klöster hat damit zu tun, dass Klöster Orte des Gebets sind. Räume, die viel Zeit zum Beten bieten. Vielleicht haben Sie Zeit, mit zum Gemeindeausflug ins Kloster Chorin zu kommen. Obwohl wir zum Beten überhaupt nirgendwo hin müssen, kann ich mir gut vorstellen, dass bei diesem Ausflug Gebet passiert. Wie schön, wenn wir dabei sind, wenn Gebet passiert.

Ich bin noch immer damit beschäftigt, alles und alle kennen zu lernen. Falls Sie das mit dem Beten völlig anders sehen, oder schlicht nicht glauben können, was ich darüber so erzähle, dann freue ich mich ganz besonders, wenn Sie auf mich zukommen und wir gemeinsam übers Beten schnacken … und wer weiß … vielleicht auch … zusammen … beten …?

Carmen Khan

Eine segensreiche Zeit

Mit der aktuellen Ausgabe des Gemeindegrußes für die Monate April und Mai stehen uns einige Highlights im Kirchenjahr bevor: Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten. Diese 50 Tage (Pfingsten leitet sich auch von der Zahl 50 ab) bilden den großen Spannungsbogen von: Jesus verweilt noch einmal bei den Menschen für 40 Tage; er wird entrückt in den Himmel und 10 Tage später ergießt sich der Heilige Geist über die Menschen.

Es ist eine Segens-reiche Zeit! Neben den großen Gottesdiensten gibt es im Mai die Konfirmationen. Zunächst werden die Konfirmandinnen und Konfirmanden in einem eigenen Gottesdienst vorgestellt und am Pfingstsonntag findet die Konfirmation in einem großen regionalen Gottesdienst statt. Ihnen wird der besondere Segen zu diesem Ereignis zugesprochen. Die Jugendlichen bekräftigen mit der Konfirmation ihre Taufe und begegnen dem neuen Lebensabschnitt mit der Segnung.

Im Segen kommt Gott den Menschen nah. Im Segen steckt die Kraft Gottes, die geheimnisvoll wirkt. Menschen vertrauen darauf, dass Gott sie auf ihrem Weg begleitet und behütet – auch in dunklen Stunden. Gottes Zuversicht kann uns tragen, wenn wir an unsere Grenzen kommen. Im Lateinischen heißt segnen „benedicere“, wörtlich: „gut sagen“ oder „loben“. Segensworte heilen, trösten, versöhnen. „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“, heißt es in der Abrahamsgeschichte (1. Mose 12, 2). Die Worte des Segens bewirken etwas Positives in unserem Leben, das wir nicht selbst machen können. Und im Bibelvers ermutigt uns Gott selbst ein Segen für andere zu sein bzw. Segen weiterzugeben. Das Segnen ist nicht nur Pfarrer*innen vorbehalten – wir dürfen einander segnen, indem wir Gott darum bitten. Er ist da, wo Menschen sich begegnen, und er hört ihre Bitte.

Manche Segensworte begleiten uns ein Leben lang. Manche Worte öffnen unser Herz, wenn wir sie wieder und wieder hören. Manche Segen sind uns so vertraut, dass wir sie innerlich mitsprechen können. So geht es sicherlich einigen, wenn sie sonntags hören: Der Herr segne dich und behüte dich…!

Ich möchte den Einstieg dieser Ausgabe auch mit einem kleinen Segen enden lassen. Das folgende Segensgebet zeigt wie zeitlos manche Segensworte sein können. Diese stammen von St. Martin aus dem 4. Jahrhundert:

Herr, segne meine Hände,
dass sie behutsam seien,
dass sie halten können, ohne zu Fesseln zu werden,
dass sie geben können ohne Berechnung,
dass ihnen innewohnt die Kraft, zu trösten und zu segnen.
 
Herr, segne meine Augen,
dass sie Bedürftigkeit wahrnehmen,
dass sie das Unscheinbare nicht übersehen,
dass sie hindurchschauen durch das Vordergründige,
dass andere sich wohlfühlen können unter meinem Blick.
 
Herr, segne meine Ohren,
dass sie deine Stimme zu erhorchen vermögen.
dass sie hellhörig seien für die Stimme der Not, dass sie verschlossen seien für Lärm und Geschwätz,
dass sie das Unbequeme nicht überhören.
 
Herr, segne meinen Mund,
dass er dich bezeuge,
dass nichts von ihm ausgehe, was verletzt und zerstört,
dass er heilende Worte spreche,
dass er Anvertrautes bewahre.
 
Herr, segne mein Herz,
dass es Wohnstatt sei deinem Geist,
dass es Wärme schenken und bergen kann,
dass es reich sei an Verzeihung,
dass es Leid und Freude teilen kann.

St. Martin aus dem 4. Jahrhundert

Ich wünsche Ihnen Gottes Segen für die kommende Zeit!

Juliane Bach

Angedacht

Bei allen (Klima-)Problemen, die aller Fortschritt mit sich bringt, gibt es doch eine Sache, auf die wir als Menschheit stolz sein können: Weltweit ist die Kindersterblichkeit in den letzten Jahrzehnten drastisch zurück gegangen. Für Zivilisation, Entwicklung und Menschlichkeit gibt es keinen aussagekräftigeren Indikator. An einer möglichst geringen Kindersterblichkeit müssen sich Politik, Humanität – und ich finde nicht zuletzt Religion – messen lassen.

Abb.: Halima Aziz

Auf dem Bild von Halima Aziz ist ein Foto abgemalt, es zeigt zwei reale – an der Kleidung leicht zu erkennende – palästinensische Kinder. Die Künstlerin schrieb dazu: „Palästina, die Seele unserer Seelen. Palästinensische Kinder haben Träume. Sie verdienen es zu leben. Sie verdienen Freiheit und eine Zukunft wie jedes andere Kind.“

Wie konnte es passieren, dass wir nun, im Jahre 2024, wieder in einer Zeit leben, in der es Not tut, so etwas dazu zu sagen? Warum sollte, was sich überall auf der Welt als Konsens herauskristallisiert hat, ausgerechnet für palästinensische Kinder nicht gelten?

‚Palästina, Maßstab unserer Maßstäbe‘ möchte ich Halima antworten, die sich unermüdlich für den Frieden im Heiligen Land einsetzt. In dem Land, in welchem ihre Wurzeln liegen. Hinter den Kindern sind Mohnblumen zu sehen. Sie werden in der Kunst oft als Symbol für das Blut, welches vergossen wurde, gelesen. Die über hundert Kinder, die täglich im Gazastreifen geboren werden, können für all die Gewalt nichts. Keine Ideologie, keine Selbstverteidigung und kein Schuldgefühl dieser Welt rechtfertigt es, dass Kinder von Bomben getötet werden oder verhungern müssen.

Im bekannten Gebet der Vereinten Nationen von Stephen Vincent Benét heißt es: „Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung. Gib uns Mut und Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen.“

Herzliche Grüße
Carmen Khan