Archiv der Kategorie: Andacht

Angedacht

Vor Kurzem gab es die Situation, dass ein lieber Mensch besorgt um mich war. Ich war darüber sehr berührt und ich habe mich dabei wohl gefühlt. Ein Freund macht sich Gedanken für und über mich und wünscht sich offensichtlich, dass es mir gut geht. Obwohl … vielleicht war es das noch nicht einmal. Es muss uns ja nicht immer gut gehen. Er war in diesem Moment in Gedanken bei mir. Und das hat mir gutgetan. Es tut gut, wenn andere immer wieder in Gedanken bei uns sind.

Es gibt solche Momente/Situationen (im Leben), die vor allem eines diagnostizieren: So wird es nicht ewig weitergehen. Das ist eigentlich nichts Neues. Die Endlichkeit unseres Lebens hier auf der Erde prägt unseren Alltag und unser Wissen und Handeln gehört zu dem Wenigen, wo wir Grenzen vielleicht verrücken, aber nicht abschaffen können.

Auch um es mir selbst bewusst zu machen, schrieb ich dem besorgten Freund: „Ich hab alles, was mensch zur Glückseligkeit braucht.“ Davon bin ich fest überzeugt. Den Segen Gottes kann ich persönlich jeden Tag spüren. Jeden Tag. Auch – oder vielleicht sogar gerade dann – wenn ich von solcher Diagnose erfahre, die bedeutet, dass ein Leben zu Ende geht.

Solche Situationen machen die gemeinsame Zeit wertvoller und sie helfen, im Alltag Prioritäten zu setzen. Aber darf ich mich glückselig fühlen, wenn ich weiß, dass jemand, den ich liebe, nicht mehr lange leben wird? Darf ich mich still auf eine Beerdigung freuen, wenn ich den verstorbenen Menschen hier in meinem Leben vermissen werde?

Dann haben wir uns Sprachnachrichten geschickt. Ich habe mich gefreut, die Stimme des Freundes zu hören. Ich habe seine Nähe gespürt, (obwohl er weit weg war), und ich habe mich verbunden gefühlt, (obwohl es da noch andere Menschen gibt, deren Verbundenheit rein quantitativ auch ausreichen könnte). Da gab es kein Problem zu lösen, nichts zu erledigen und nichts zu schaffen.

In der ‚Männer-Bibel‘ von Richard Rohr steht auf der Seite 281:
„Je tiefer wir in das Mysterium von Christus eintauchen, desto durchlässiger wird die Grenze zwischen Freude und Leid, zwischen den Tränen der Freude und den Tränen der Traurigkeit. Für einen Mann, der sein Herz Gott geschenkt hat, gibt es am Ende nur noch eine Frage: „Erfülle ich Gottes Willen?“
Anders ausgedrückt: Helfe ich Gottes Menschen? Ob die Antwort darauf Glück oder Traurigkeit in uns auslöst, ist dann nicht mehr von Bedeutung. Darin liegt das Paradox unseres Glaubens: dass wir Freude empfinden können, wenn wir tiefgreifend mit oder für andere leiden, und dass wir Traurigkeit empfinden, wenn wir uns vom Schmerz der anderen abwenden und nicht daran teilhaben.“

Ihre Carmen Khan

Angedacht: Die Jahreslosung 2025

„Prüft alles und behaltet das Gute“ (1. Thessalonicher 5,21)

Liebe Gemeindemitglieder,

wenn die Tage kürzer werden und das Jahr sich dem Ende neigt, laden uns die kahlen Bäume und die ruhende Natur zum Innehalten ein. In dieser Zeit der Besinnung erreicht uns die Jahreslosung für 2025: „Prüft alles und behaltet das Gute.“

Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem alten Kleiderschrank. Er ist vollgestopft mit Erinnerungen, Gewohnheiten und Überzeugungen. Einiges davon tragen Sie täglich, anderes hat schon lange keinen Nutzen mehr. Die Jahreslosung ermutigt uns, diesen Schrank gründlich auszumisten.

Öffnen Sie die Türen weit und nehmen Sie jedes Stück in die Hand. Dieser abgetragene Pullover – sind es liebgewordene Gewohnheiten, die uns Halt geben, oder hinderliche Muster, die uns einengen? Oder die glänzende Brosche – ist es ein wertvoller Grundsatz unseres Glaubens oder nur oberflächlicher Schein?

Der Winter mit seinen langen Abenden schenkt uns die Zeit für diese Bestandsaufnahme. Wie ein Gärtner, der seinen Garten für den Frühling vorbereitet, dürfen wir unter der kargen Oberfläche nach verborgenen Schätzen suchen.

Vielleicht entdecken wir unter welkem Laub die ersten zarten Triebe neuer Ideen oder Beziehungen. Die Jahreslosung fordert uns nicht nur zur Prüfung auf, sondern ermutigt uns auch, das Gute zu behalten. In einer oft hektischen Welt erinnert uns dieser Vers daran, dass es überall Wertvolles zu finden gibt – wenn wir nur genau hinschauen. Vielleicht finden wir in der Gemeinschaft unserer Kirche Wärme und Geborgenheit, wenn draußen eisige Winde wehen. Oder wir erkennen in den kleinen Gesten der Nächstenliebe, die uns im Alltag begegnen, Gottes Wirken in der Welt.

Wenn wir am Silvesterabend das alte Jahr verabschieden, können wir dies mit geschärftem Blick tun. Wie ein Wanderer, der seinen Rucksack für die nächste Etappe packt, dürfen wir dankbar das Gute mitnehmen und gleichzeitig loslassen, was uns belastet.

Die ersten Wochen des neuen Jahres, wenn die Tage langsam wieder länger werden, sind eine wunderbare Zeit, um das bewahrte Gute wachsen zu lassen. Wie eine sorgsame Gärtnerin können wir es hegen und pflegen.

Lasst uns gemeinsam in dieses neue Jahr 2025 gehen, mit offenen Augen und Herzen, bereit zu prüfen und das Gute zu bewahren. Möge Gott uns die Weisheit schenken, zu erkennen, was wirklich wertvoll ist, den Mut, loszulassen, was uns nicht weiterbringt, und die Kraft, das Gute in unserem Leben und unserer Gemeinschaft zu stärken.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Weihnachts- und Winterzeit, einen guten Jahreswechsel und ein erfülltes neues Jahr 2025.

Ihre Juliane Bach

Angedacht

Ich glaube ja langsam, das hat System. Also bei Gott. In meinem eigenen Leben habe ich das schon eine Weile beobachtet und in der Bibel ist es mir jetzt auch aufgefallen. Gott zeigt sich nicht dann, wenn alle pünktlich, mit frisch gebügelten Klamotten, gut vorbereitet und ausgeschlafen zu einem Termin erscheinen. Gott zeigt sich lieber dann, wenn alles andere im Chaos zu versinken scheint.

Genau so hat es aus menschlicher Sicht mit Gott überhaupt erst angefangen. Da war das berühmte Tohuwabohu und genau da, dachte sich Gott, macht sie die Welt rein. Ein anderes geflügeltes Wort ist ‚Sodom und Gomorra‘ geworden. Unzucht und Durcheinander – wofür Gott wesentlich mehr Verständnis und Nachsicht hat als wir Menschen.

Vielleicht ist es sogar so, dass Gott uns dieses ganze Geplane und Vorgesorge gerne abnehmen würde. Manna zum Beispiel lässt sich nicht als Vorrat anlegen. Was Menschen extra mehr sammeln, um später noch was davon zu haben, das wird ungenießbar.

Mit Jesus wird es völlig offensichtlich. Sein berühmter Gang auf dem Wasser findet während eines gewaltigen Sturmes statt und die Speisung der 5000 ist auch nur notwendig, weil 4999 Leute ihre Brotbox vergessen haben.

Bei den berühmtesten Gleichnissen handelt es sich um verlorene Dinge. Söhne, Schafe und Groschen. Kein einziges Mal ist dabei die Moral: Passt doch besser auf eure Sachen auf. Und im Johannesevangelium ist es das erste Wunder, das Jesus wirkt: Für die Hochzeit wurde zu wenig Wein besorgt, statt sich zu beschweren, macht Jesus welchen aus Wasser.

Soll das jetzt heißen, wir sollten alle noch schusseliger werden? Vermutlich ist das nicht der Punkt. Doch wir könnten schon gnädiger werden mit uns selbst und es uns nicht nachtragen, wenn wir mal was verbaseln, oder gar ständig vergessen, an irgendwas zu denken.

Und wir müssen keine Angst haben vor dem was kommt. Vor den vielen uns bevorstehenden Ereignissen, vor dem, was wir alles müssten und vor den Konsequenzen, weil wir irgendwas nicht früher erledigt haben. Dass Gott uns Leben geschenkt hat, bedeutet eben auch, dass sie es mit uns leben möchte. Nicht organisieren, managen und strukturieren. Leben.

Ihre Carmen Khan

Gleichgewicht

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt die alte Fabel „vom Aufstand der Organe“ aus der Antike: Eines Tages beschlossen die Körperteile, dass sie es satt hatten, ständig für den Magen zu arbeiten, der scheinbar nichts für sie tat. Die Hände führten kein Essen mehr zum Mund, die Zähne weigerten sich zu kauen, und der Mund schluckte nichts mehr. Doch ohne die Verdauung durch den Magen wurde der ganze Körper schwächer und drohte zu verhungern. Schließlich erkannten die Körperteile, dass sie aufeinander angewiesen sind, und nahmen ihre Arbeit wieder auf.

Diese Fabel zeigt uns, wie wichtig jeder einzelne Teil im Körper ist. Paulus greift dieses Bild im ersten Brief an die Korinther auf, um die Gemeinde als einen Körper zu beschreiben, bei dem jedes Glied seine spezielle Aufgabe hat.

„Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, so auch Christus“
(1. Korinther 12,12).

Die christliche Gemeinde besteht aus vielen verschiedenen Menschen, die alle ihre eigenen Gaben und Fähigkeiten haben. Diese Verschiedenheit ist keine Schwäche, sondern eine Stärke.

Wir haben viele verschiedene Glieder in unseren Kirchengemeinden Baumschulenweg und Johannisthal: einige, die hervorragende Texte verfassen, andere, die mit Blumensträußen die Kirche verschönern, putzen, Texte im Gottesdienst lesen, regelmäßig Werbung verbreiten, Feste vorbereiten, die Kirche aufschließen, Menschen zuhause besuchen, ehrenamtlich den Gemeindegruß betreuen, Plakate erstellen und vieles mehr. Wir sind wie ein bunter Blumenstrauß, der die Vase mit allen Gaben füllt. Oder wie es noch ein paar Wochen zu bestaunen ist in der Installation in der Johannisthaler Kirche: die einzelnen Glieder, bunt und unterschiedlich geformt, sind alle wie in einem Mobile verbunden. Jedes Teil hat seine eigene Form und Funktion, aber nur wenn alle Teile vorhanden sind und im Gleichgewicht hängen, bewegt sich das Mobile harmonisch. Fehlt ein Teil oder wird eines überbewertet, gerät das Mobile aus dem Gleichgewicht. So ist es auch mit unserer Gemeinde – jede und jeder von uns trägt zur Balance und zum Leben der Gemeinschaft bei.

Wir leben in Vielfalt. Niemand sollte sich ausgeschlossen fühlen, nur weil er oder sie anders ist. Paulus betont, dass alle Glieder gebraucht werden, um die Gemeinde voll funktionsfähig zu machen.

„Wenn der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum gehöre ich nicht zum Leib!, gehört er deshalb etwa nicht zum Leib?“ (1. Korinther 12,15).

Jede Gabe und Fähigkeit ist wichtig und jede Person trägt zum Wohl der gesamten Gemeinschaft bei. Denn besonders über die vermeintlich unscheinbaren und kleinen Glieder schreibt Paulus:

„Gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich“
(1. Korinther 12,22).

In diesem Sinne wünsche ich uns in den Gemeinden weiterhin ein gedeihliches, bereicherndes und nährendes Miteinander!

Ihre Juliane Bach

Angedacht

Es ist viele Jahre her, da habe ich eine so stressige Gemeindesituation erlebt, da hat der Kantor zu mir gesagt: „Ich komme überhaupt nicht mehr zum Üben.“ Ich dachte bei mir „ich auch nicht“ und begann erst dann zu überlegen, wie die Übung einer Pfarrerin aussieht. Ich muss gestehen, die Frage hat mich einige Jahre begleitet, doch inzwischen kann ich sie klar und deutlich beantworten: Beten.

Die Übung einer Pfarrerin ist beten, weil die Übung gläubiger Menschen beten ist. Damit meine ich nicht, in ausschweifenden Reden Gott die Welt erklären, ich meine damit auch keine Hilferufe, die wir als Stoßgebete dann aussenden, wenn uns nichts anderes mehr zu tun einfällt und vor allem meine ich damit keine Selbstdarstellungen religiöser Leute. Ich meine damit, da sein. Gottes Geschenke auspacken und annehmen. Das Leben nicht weiter vor sich herschieben, sondern leben. Ja, das kann mensch üben. Wir nennen diese Übungen gerne Kontemplation, Meditation, Konzentration, Fokussierung, Präsenz, Sitzen, Trance … und ab und an auch Gebet.

In der Passionszeit habe ich es Herzensgebet genannt. Immer mittwochabends waren die Treffen. Wir saßen im Kreis und haben geatmet. Zehn Minuten lang. Beim Einatmen haben wir „Jesus Christus“ gedacht und beim Ausatmen „erbarme dich meiner.“ Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, die helfen, aus dem Gedankenkarussell auszusteigen – ein Nickerchen ist keine davon.

Auch meine Faszination für Klöster hat damit zu tun, dass Klöster Orte des Gebets sind. Räume, die viel Zeit zum Beten bieten. Vielleicht haben Sie Zeit, mit zum Gemeindeausflug ins Kloster Chorin zu kommen. Obwohl wir zum Beten überhaupt nirgendwo hin müssen, kann ich mir gut vorstellen, dass bei diesem Ausflug Gebet passiert. Wie schön, wenn wir dabei sind, wenn Gebet passiert.

Ich bin noch immer damit beschäftigt, alles und alle kennen zu lernen. Falls Sie das mit dem Beten völlig anders sehen, oder schlicht nicht glauben können, was ich darüber so erzähle, dann freue ich mich ganz besonders, wenn Sie auf mich zukommen und wir gemeinsam übers Beten schnacken … und wer weiß … vielleicht auch … zusammen … beten …?

Carmen Khan

Eine segensreiche Zeit

Mit der aktuellen Ausgabe des Gemeindegrußes für die Monate April und Mai stehen uns einige Highlights im Kirchenjahr bevor: Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten. Diese 50 Tage (Pfingsten leitet sich auch von der Zahl 50 ab) bilden den großen Spannungsbogen von: Jesus verweilt noch einmal bei den Menschen für 40 Tage; er wird entrückt in den Himmel und 10 Tage später ergießt sich der Heilige Geist über die Menschen.

Es ist eine Segens-reiche Zeit! Neben den großen Gottesdiensten gibt es im Mai die Konfirmationen. Zunächst werden die Konfirmandinnen und Konfirmanden in einem eigenen Gottesdienst vorgestellt und am Pfingstsonntag findet die Konfirmation in einem großen regionalen Gottesdienst statt. Ihnen wird der besondere Segen zu diesem Ereignis zugesprochen. Die Jugendlichen bekräftigen mit der Konfirmation ihre Taufe und begegnen dem neuen Lebensabschnitt mit der Segnung.

Im Segen kommt Gott den Menschen nah. Im Segen steckt die Kraft Gottes, die geheimnisvoll wirkt. Menschen vertrauen darauf, dass Gott sie auf ihrem Weg begleitet und behütet – auch in dunklen Stunden. Gottes Zuversicht kann uns tragen, wenn wir an unsere Grenzen kommen. Im Lateinischen heißt segnen „benedicere“, wörtlich: „gut sagen“ oder „loben“. Segensworte heilen, trösten, versöhnen. „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“, heißt es in der Abrahamsgeschichte (1. Mose 12, 2). Die Worte des Segens bewirken etwas Positives in unserem Leben, das wir nicht selbst machen können. Und im Bibelvers ermutigt uns Gott selbst ein Segen für andere zu sein bzw. Segen weiterzugeben. Das Segnen ist nicht nur Pfarrer*innen vorbehalten – wir dürfen einander segnen, indem wir Gott darum bitten. Er ist da, wo Menschen sich begegnen, und er hört ihre Bitte.

Manche Segensworte begleiten uns ein Leben lang. Manche Worte öffnen unser Herz, wenn wir sie wieder und wieder hören. Manche Segen sind uns so vertraut, dass wir sie innerlich mitsprechen können. So geht es sicherlich einigen, wenn sie sonntags hören: Der Herr segne dich und behüte dich…!

Ich möchte den Einstieg dieser Ausgabe auch mit einem kleinen Segen enden lassen. Das folgende Segensgebet zeigt wie zeitlos manche Segensworte sein können. Diese stammen von St. Martin aus dem 4. Jahrhundert:

Herr, segne meine Hände,
dass sie behutsam seien,
dass sie halten können, ohne zu Fesseln zu werden,
dass sie geben können ohne Berechnung,
dass ihnen innewohnt die Kraft, zu trösten und zu segnen.
 
Herr, segne meine Augen,
dass sie Bedürftigkeit wahrnehmen,
dass sie das Unscheinbare nicht übersehen,
dass sie hindurchschauen durch das Vordergründige,
dass andere sich wohlfühlen können unter meinem Blick.
 
Herr, segne meine Ohren,
dass sie deine Stimme zu erhorchen vermögen.
dass sie hellhörig seien für die Stimme der Not, dass sie verschlossen seien für Lärm und Geschwätz,
dass sie das Unbequeme nicht überhören.
 
Herr, segne meinen Mund,
dass er dich bezeuge,
dass nichts von ihm ausgehe, was verletzt und zerstört,
dass er heilende Worte spreche,
dass er Anvertrautes bewahre.
 
Herr, segne mein Herz,
dass es Wohnstatt sei deinem Geist,
dass es Wärme schenken und bergen kann,
dass es reich sei an Verzeihung,
dass es Leid und Freude teilen kann.

St. Martin aus dem 4. Jahrhundert

Ich wünsche Ihnen Gottes Segen für die kommende Zeit!

Juliane Bach

Angedacht

Bei allen (Klima-)Problemen, die aller Fortschritt mit sich bringt, gibt es doch eine Sache, auf die wir als Menschheit stolz sein können: Weltweit ist die Kindersterblichkeit in den letzten Jahrzehnten drastisch zurück gegangen. Für Zivilisation, Entwicklung und Menschlichkeit gibt es keinen aussagekräftigeren Indikator. An einer möglichst geringen Kindersterblichkeit müssen sich Politik, Humanität – und ich finde nicht zuletzt Religion – messen lassen.

Abb.: Halima Aziz

Auf dem Bild von Halima Aziz ist ein Foto abgemalt, es zeigt zwei reale – an der Kleidung leicht zu erkennende – palästinensische Kinder. Die Künstlerin schrieb dazu: „Palästina, die Seele unserer Seelen. Palästinensische Kinder haben Träume. Sie verdienen es zu leben. Sie verdienen Freiheit und eine Zukunft wie jedes andere Kind.“

Wie konnte es passieren, dass wir nun, im Jahre 2024, wieder in einer Zeit leben, in der es Not tut, so etwas dazu zu sagen? Warum sollte, was sich überall auf der Welt als Konsens herauskristallisiert hat, ausgerechnet für palästinensische Kinder nicht gelten?

‚Palästina, Maßstab unserer Maßstäbe‘ möchte ich Halima antworten, die sich unermüdlich für den Frieden im Heiligen Land einsetzt. In dem Land, in welchem ihre Wurzeln liegen. Hinter den Kindern sind Mohnblumen zu sehen. Sie werden in der Kunst oft als Symbol für das Blut, welches vergossen wurde, gelesen. Die über hundert Kinder, die täglich im Gazastreifen geboren werden, können für all die Gewalt nichts. Keine Ideologie, keine Selbstverteidigung und kein Schuldgefühl dieser Welt rechtfertigt es, dass Kinder von Bomben getötet werden oder verhungern müssen.

Im bekannten Gebet der Vereinten Nationen von Stephen Vincent Benét heißt es: „Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall. An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung. Gib uns Mut und Voraussicht, schon heute mit diesem Werk zu beginnen, damit unsere Kinder und Kindeskinder einst stolz den Namen Mensch tragen.“

Herzliche Grüße
Carmen Khan

Ein Jegliches hat seine Zeit

Auf ihrem Schreibtisch im Zimmer stand immer eine Vase aus Ton.
Es war das Zimmer einer älteren Frau im Seniorenstift, die ich eine Zeit lang
besuchte.

Diese Frau hatte in jüngeren Jahren als Journalistin gearbeitet und auch im hohen Alter setzte sie sich nahezu täglich an den Schreibtisch, um Texte zu verfassen. Das Zimmer war nicht sonderlich groß und vor allem praktikabel eingerichtet. Außer dieser einen blauen Vase auf dem Schreibtisch vom Töpfermarkt in Weimar. Die Vase war stets mit Wasser gefüllt. Doch Blumen standen nie darin. Stattdessen ragte ein einfacher Ast, ganz hölzern daraus. So wirklich dekorativ war das nicht. Wo doch außerdem der Platz auf dem Schreibtisch so begrenzt war. Und irgendwann habe ich die Frau dann gefragt, was es auf sich hat mit diesem Stock in der Vase: „Ich warte darauf,“ erzählte mir die Frau, „dass dieses Holz zu blühen anfängt.“ Wie unvernünftig, dachte ich und schaute wohl skeptisch. Aber eines Tages, als ich sie wieder besuchte, zeigte sich am Ast tatsächlich ein bescheidenes, zartes, ganz unaufdringliches grünes Blättchen.

Diese Woche, als ich die Worte des Propheten Jesaja las, erinnerte ich mich wieder an diesen für mich so rührenden Moment als mir diese Frau ganz stolz und hoffnungsvoll diesen blühenden Ast zeigte.

Bei Jesaja heißt es nämlich wie folgt:

Dann wird ein Zweig aus dem Baumstumpf Isais austreiben, und ein Spross wächst aus seiner Wurzel heraus. Auf ihm wird ruhen der Geist Gottes, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht Gottes.

Erkenntnis und Weisheit und auch Frieden kann die Welt in diesen Tagen gut gebrauchen. Jedes Jahr steht der Advent für einen Neuanfang. Und auch der Jahreswechsel bringt Mut und Hoffnung auf einen persönlichen Neustart. Das neue, veränderte ist manchmal noch nicht erkennbar und trotzdem schon am Werden.

Das mit zu bedenken wünsche ich uns für alle neuen Aufgaben und Wege, die wir vor uns haben! Und gutes Gelingen, sowie Mut zum Ausprobieren und auch Scheitern, falls etwas nicht gelingen sollte. Es wird immer etwas neues entstehen und das bringt neue Erkenntnisse mit sich.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen Gottes Begleitung und seinen stärkenden Segen!

Ihre Juliane Bach

Ein jegliches hat seine Zeit

Dieses Bibelwort ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Die Puhdys haben darüber ein Lied geschrieben, mit eindringlichem Riff und dem Geräusch einer Explosion am Anfang. Und auch das bis ins Althochdeutsche zurückführbare Wort „jegliches“ hat sich gehalten. Vielleicht klingt „alles hat seine Zeit“ einfach zu banal.

Und wie die Puhdys, so geht auch der Bibeltext aus dem Buch des Predigers gleich mitten rein: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit. Das Leben eines Menschen, von der Geburt bis zum Tod, wird in neun Wörtern umrissen. Und wie sehr wir in der Großstadt wieder lernen müssen, dass Früchte und Pflanzen saisonal gebunden sind, wird immer deutlicher. Doch oft bleibt nicht die Zeit, darauf zu hören. Ich erlebe immer wieder, wie Zeit durchgetaktet wird, Termine sich jagen, Menschen sich selbst optimieren. Da nehme ich mich nicht aus. Umso wichtiger sind die Momente, in denen dieser alte, weise Satz auch wirklich gehört wird: „ein jegliches hat seine Zeit und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“.

Besonders eindrücklich erlebe ich das am Grab. Wenn Menschen einer simplen Erkenntnis nicht mehr ausweichen können: auch ihr Leben hat seine Zeit.

„Ein jegliches hat seine Zeit“

Wer darum weiß, weiß auch um ein Letztes: es gibt ein „zu spät“. Ich erlebe oft, dass Menschen in dem Bemühen um Kontinuität die Augen vor schweren Dingen oder unausweichlichen Veränderungen verschließen. Stellen sie sich diesen Dingen, dann merken sie manchmal: es ist zu spät. Mitunter bleibt nichts anderes, als „auszureißen, was gepflanzt ist“. Und wieder andere wollen ihrer Zeit immer einen Schritt voraus sein. Sie wollen die ersten sein, die eine bestimmte Idee haben, die schnellsten, die sie umsetzen. Oft genug merken sie: auch diese Dinge haben ihre Zeit. Dieses Eingangswort erscheint in den Gemeindeblättern dreier Kirchengemeinden: Baumschulenweg, Johannisthal und Treptow. Alle drei Gemeinden bieten im Oktober und November eine Vielzahl von Möglichkeiten, einem Ereignis oder auch dem eigenen Besinnen seine Zeit zu lassen. Vielleicht spricht Sie das eine oder andere Angebot an.

Andreas Döhle