Angedacht

Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.

Psalm 118,22

Ostern geht das Leben wieder los – unser Fest fällt in diesem Jahr mit dem Monatsbeginn April zusammen: dann ist Frühling, hoffentlich, dann haben wir uns von den Corona-Einschränkungen ein wenig freigestrampelt, hoffentlich. An die Auferstehung Jesu wird in jedem Fall gedacht und sie wird gefeiert.

Der Festtagspsalm ist der 118 – übrigens auch Pfingsten in anderem Zuschnitt – und in seinen Bildern wahrscheinlich vertraut: Mit dem Eckstein wird das Maß des Gebäudes gesetzt, an ihm richtet sich alles aus, alles muss zu ihm passen. Heutzutage wird Beton gegossen und alles passend gemacht, mit Natursteinen dagegen ist die Auswahl entscheidend. Das gilt erst recht, wenn es um ein Gewölbe geht, dann muss alles, vor allem der Schlussstein passen, sonst bricht alles zusammen.

Die Botschaft des Karfreitags war: Dieser Jesus mit seiner Botschaft passt nicht zum Leben, wie wir es sehen und wollen. Seine Beseitigung war deshalb nur konsequent: Er wird nicht nur übergangen und vergessen, sondern gezielt ausgeschieden aus dem, was unter Menschen Gültigkeit und Wert haben kann. Jesus mit seinen Ideen wird als lebensuntauglich denunziert und deklariert, er ist aus dem Baumaterial des Lebens ausgesondert, als untauglich verworfen: ohnmächtig, wirklichkeitsfremd und womöglich gefährlich, zumindest jugend-gefährdend.

Ostern gibt es die Gegenbotschaft: Im Gegenteil, Jesus wird von Gott ins Recht gesetzt und als mächtig, zutreffend und hilfreich herausgestellt. Er wird nicht auf dem Schuttabladeplatz der Geschichte, sondern zur Rechten Gottes seinen Platz haben. Triumphierend singen seine Leute – und singen wir mit: zum Eckstein geworden. Nicht nur nachträglich, dann doch gerade einmal noch tauglich befunden und wieder zugelassen, sondern nach ganz vorn sortiert.

Angesichts der manchmal so trüben Verfassung der Jesusleute ist das kühn. Ostern ist ein kühnes Fest: Da berufen sich dürftige und ohnmächtige kleine Leute auf ein Ereignis, das in der öffentlichen, unabhängigen Wahrnehmung kaum glaubwürdig aussieht: Auferstehung. Die Welt der Tatsachen hat ihr Urteil gesprochen und exekutiert. Die anderslautenden Berichte von Gottes Einspruch dagegen sind ein wenig wirr und widersprüchlich, auch abgesehen von ihrer Grundbotschaft.

Dennoch – das ist eben auch nicht zu bestreiten – hat diese Botschaft über die Jahrtausende eine unglaubliche Kraft entfaltet: Menschen in ihren Bann gezogen, ihr Leben verändert und Verhältnisse bewegt. Die Wirklichkeit von „Kirche“ nach fast 2000
Jahren ist ein Osterbeweis.

Andererseits wird Ostern im Leben der sich zu Jesus bekennenden Menschen nur dann tragen, wenn es nicht nur um das große Ganze, sondern auch um je mein ganz eigenes Leben geht: Wer bin ich? Wofür lebe ich? Ostern heißt: Gott gibt mich nie und nimmer verloren, er hält zu mir auch gegen die ganze Walze der Mächte, die mir zuflüstern wollen: alles vergeblich, deshalb alles gleichgültig. Ich muss von mir aus nichts beweisen, das Leben steht nicht zur Bewährung und was ich nicht schaffe, schafft niemand. Nein: Am Anfang und über dem ganzen Leben steht Gottes österliches Ja. Er will mich. Und er will mich nicht als Irgendetwas, was ich aus mir erst noch machen muss, sondern als den und die, die ich bin.

Das alles hängt an dem, der sich zum Eckstein unseres Lebens macht: zum Halt- und zum Richtpunkt und Grund unseres Lebens. Seine Auferstehung ist unsere Auferstehung: ist Gottes Festhalten an uns gegen den Augenschein von Verlassenheit, ist Gottes Macht gegen all die anderen Mächte, die nach uns greifen und uns mit sich herabziehen wollen. Das Staunen über den zunächst weggeworfenen Stein, der nun zum Eckstein geworden ist, ist – wie es im Psalm im Anschluss sehr richtig und entscheidend heißt:

„Das ist vom HERRN geschehen und ist ein Wunder in unseren Augen.“

In diesen schwierigen Zeiten wünsche ich Ihnen allen in diesem Jahr ganz besonders fröhliche und gesegnete Ostern! Und ich freue mich auf Sie hier oder dort auch in der Zeit danach, in der das analoge Begegnen hoffentlich wieder möglich sein wird.

Ihr Pfarrer Hartmut Scheel